Cigarettes, beer, whisky

Außer Kontrolle

Alle prügeln auf den Chef der Jungen Union ein, weil er meint, die Erhöhung des ALGII-Regelsatzes wäre ein Anschub für die Tabak- und Alkholindustrie gewesen. Warum eigentlich diese Schelte? Ein paar aufmunternde Worte zum Wochenende für den JU-Chef.

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Lieber Herr Mißfelder,

Sie müssen nicht besorgt sein: ich gehöre nicht zu denen, die Ihnen wegen Ihrer "ALGII-Äußerung" nun empörte Kritik zukommen lassen. Im Gegenteil, ich denke, Sie wurden missverstanden. Oder vielleicht haben Sie auch gar nicht bedacht, dass, wenn Ihr Kommentar den Tatsachen entsprechen würde, dies nur davon zeugt, dass ALGII-Empfänger sich noch mit ihrem letzten Geld für die Gemeinschaft einsetzen, statt dieses egoistisch für sich selbst zu behalten.

Ja, Herr Mißfelder, die üppige Erhöhung des ALGII-Regelsatzes um immerhin 4 Euro monatlich für Erwachsene hat die ALGII-Empfänger nämlich vor schier unlösbare Probleme gestellt. Beseelt von dem Gedanken, sich mit der Gemeinschaft (die ihnen die Hängematte zur Verfügung stellt, in der sie Tag für Tag unrasiert, ungeschminkt und fernsehbedrönt vor sich hin gammeln) zu solidarisieren, fragten sich die Prekariatsangehörigen natürlich, wo sie helfen könnten. Als Erstes fielen ihnen die Banken ein, aber da war schon die Regierung emsig, also benötigte man dort keine Hilfe mehr. Die Rettungspakete waren geschnürt, insofern stellte sich nun dem um 4 Euro monatlich reicheren ALGII-Empfänger (gemeinhin auch Hartzie genannt) die Frage: wie kann ich helfen? Und wo?

Und so, wie auch diejenigen, die direkt von der Schaeffler-Krise betroffen sind, hier aktiv werden, so werden die Hartzies eben bei der Alkohol- und Tabakindustrie aktiv. Sie wissen doch: alles halt Alkoholiker und Kettenraucher. Wo sollten denn diese, die nach allgemeinem Wissen sowieso größtenteils unvermittelbar, weil zu faul, sind, auch sonst ihr Engagement zeigen? Würde ein Vegetarier ausgerechnet sein letztes Geld in die Rettung einer Burgerkette investieren?

Herr Mißfelder, sehen Sie doch einmal das Potential des Ganzen. Das ist übrigens etwas, was auch Herrn Sarrazin nie gelingt: einmal über den Tellerrand zu schauen. Warum soll man denn den Regelsatz noch weiter kürzen, nur weil man sich auch mit weniger Geld gesund ernähren kann? Sehen Sie doch das Positive an der Verschwendungssucht, die dem gemeinen Hartzie unterstellt wird: er konsumiert. Er benötigt nicht einmal die angekündigten Konsumgutscheine, um zum Lädchen zu gehen und zu konsumieren. Nein, der Hartzie macht das ganz freiwillig. Wie viele Brauereien und Tabaklädchen können so durch die selbstlose Aufopferung der Hartzies gerettet werden? Überlegen Sie doch, Herr Mißfelder: in Scharen opfern Menschen ihre letzten 4 Euro, die die Erhöhung des Regelsatzes brachte, um damit nicht etwa egoistischerweise den Sparstrumpf zu füllen, sondern selbstlos in die deutsche Wirtschaft (man verzeihe das Wortspiel) zu investieren.

Herr Mißfelder - stellen Sie doch nur einmal vor, was passieren könnte, wenn alle Hartzies nun so wären, wie es von der Politik immer verlangt wird. Millionen von Menschen würden tagtäglich frisch gewaschen, rasiert, hübsch geschminkt und adrett angezogen (das hat Herr Beck ja immer gepredigt) zu den Arbeitsagenturen laufen oder fahren. Der morgendliche Berufsverkehr würde unglaublich darunter leiden, dass die Bahnhöfe, Busse und Bahnen völlig überfüllt wären. Geschockte Arbeitsberater (Case Manager) müssten sich der geradezu schockierenden Frage stellen: Wo ist nun der Job für mich, den ich gleich antreten kann, der aber keinen anderen durch den Dumpinglohn den Job kostet? Denn das Rangieren würde natürlich nichts nützen - das Spielchen: "Hugo bekommt den Job von Renate und dafür wird Renate arbeitslos" wäre also schlichtweg umsonst gespielt, da ja dann Renate vor der Tür stünde. Die Mittagspause würde nicht mehr durchführbar sein und die Sicherheitsbeamten vor den Türen der Arbeitsagenturen würden von den nach fair bezahlter Arbeit verlangenden, bisher so einfach als saufende, kettenrauchende Schmarotzer bezeichneten, Prekariatlern förmlich niedergewalzt werden. Vielleicht müsste man die Bundeswehr einsetzen oder gar Leute von dem kreativen "Fähnchen wechsel Dich"-Einsatz auf See abziehen.

Der Ruf "Gebt uns Arbeit - oder habt ihr keine für uns?" würde durch das Land schallen und somit entlarven, dass es gar nicht genug fair bezahlte Arbeit gibt. Aber vielleicht wäre das auch völlig egal, weil sich die in den Billigjobs gefangenen Menschen dann mit den Hartzies solidarisieren würden, gemeinsam mit ihnen durch die Straßen des himmlischen sozialen Friedens in Deutschland laufen und nach fairen Löhnen und humanen Arbeitsbedingungen rufen würden. Kindergeldempfänger würden ein Transparent mit den Worten "Bei uns könnt ihr auch nicht sehen, was wir mit dem Geld der Gemeinschaft tun! Wühlt doch auch in unseren Schlüpfern!" hochhalten und ein Tross von Hartzies würde gebetsmühlenartig herunterleiern, welchem Ehrenamt sie bisher nachgehen, während die Ein-Euro-Jobber gleichzeitig im Kanon die durch ihre "gemeinnützigen, zusätzlich anfallenden, nicht den Wettbewerb schädigenden Jobs" weggefallenen Arbeitsplätze auflisten. Die Banken würden zusammenbrechen unter dem Ansturm derjenigen, die für ihre Idee zur Selbständigkeit dringend einen Kredit benötigen und die diesbezüglichen Anträge samt Konzepten schon unter dem Arm tragen; die Alkohol-/Zigaretten-/Fast Food-/Fertiggericht-Industrie müsste Konkurs anmelden weil alle Herrn Sarrazins Rezepte ausprobieren und zusätzlich im eigenen Garten Gemüse anbauen, verzweifelte Winzer und Bauern würden um den nächsten Rettungsschirm betteln, das Oktoberfest wäre in Gefahr! Somit auch die Touristikbranche, die ja schlecht die nach Unterhaltung lechzenden Touristen zur nächsten Tofubude lotsen kann, wo bei leiser, ohrenunschädlicher Musik die dem BMI angepasste Ration Tofu und Sojamilch kredenzt wird.

Lieber Herr Mißfelder - bevor also Horden von "Hartzies" die argen ARGEn heimsuchen und nach dem rufen, was ihnen keiner bieten kann (somit also die hübschen kleinen Rabulistiken der Politik durch ein paar Schlachtrufe entlarven könnten), lassen Sie ihnen doch die 4 Euro pro Monat in der Geldbörse. Oh - und falls diese in 2 Gläser Bier oder 1 Packung Zigaretten investiert werden, freuen Sie sich doch einfach über dieses Rettungspaket, diese Subvention oder den Rettungsschirm, unter dem wenigstens noch Platz ist für ein paar feiernde Politiker, die demnächst während der Fastnachtszeit sicherlich wieder zeigen werden, dass auch sie ohne Spaß Alkohol haben können.

Herzlichst, Ihre Twister

PS: Darauf ein Püls-Bräu und ne Kippe ;)