Deutsches Tränengas und Diensthilfe für die Türkei

Zusammenarbeit mit Polizei und Militär wird trotz der Gewaltexzesse fortgeführt, Tränengas wird auch weiter geliefert

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In der Türkei ist die Polizei in den vergangenen Tagen erneut massiv gegen regierungskritische Demonstranten vorgegangen. In den Metropolen Ankara und Istanbul trugen mehrere Menschen Verletzungen davon, es gab zahlreiche Festnahmen. Zeitgleich wurden in Berlin die Antworten des Außenministeriums auf zwei Kleine Anfragen im Bundestag publik, denen zufolge deutsche Bundesbehörden die türkische Polizei seit Jahren massiv unterstützen.

Nach den detaillierten Aufstellungen, die auch Telepolis vorliegen, bilden die Bundespolizei, das BKA und das Bundesinnenministerium die türkischen Einsatzkräfte seit mindestens zehn Jahren in Antiterrormaßnahmen und für verdeckte Ermittlungen aus. Das geht aus den Antworten auf eine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke) vom 25. Juni hervor. Zudem wurde der Führung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan Tränengas im Wert von gut 202.000 Euro verkauft. Eine der letzten Lieferungen durch Deutschland und Österreich soll nach unbestätigten Angaben von Aktivisten erst vor wenigen Tagen von deutschen Polizeikräften eskortiert worden sein.

Die Antworten auf zwei Anfragen der Linksfraktion stehen in krassem Widerspruch zu den öffentlichen Stellungnahmen von Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Es gab schreckliche Bilder, auf denen man sehen konnte, dass hier doch viel zu hart aus meiner Sicht vorgegangen wurde", hatte Merkel vor einem Monat dem privaten Fernsehsender RTL gesagt. Was in der Türkei geschehe, entspreche aus ihrer Sicht nicht den hiesigen Vorstellungen von Freiheit der Demonstration und Freiheit der Meinungsäußerung", fügte Merkel damals an: "Ich bin jedenfalls erschrocken."

In der Merkelschen Realpolitik hatte dieser Schrecken jedoch keine Konsequenzen. Zwar wurde die Kooperation auf Länderebene eingestellt. Ein Abbruch der in der Verantwortung des Bundes liegenden militärischen Zusammenarbeit und juristischen Beratung aber "wird nicht erwogen", heißt es in der Antwort auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen.

Aus den begleitenden Aufstellungen geht indes hervor, in welchem Maße die Erdogan-Regierung deutsche Hilfen für Polizei und Militär erwarten kann. Gut 80 Lehrgänge und insgesamt mehr als 150 Kooperationsmaßnahmen wurden angeboten; deutsche Kleinwaffen werden mit Genehmigung der Bundesregierung von türkischen Lizenznehmern produziert; die sogenannte Ausstattungshilfe beläuft sich auf rund 300.000 Euro. Zahlreiche der Maßnahmen sind auf die Unterstützung des Antiterrorkampfes ausgerichtet. Die damit zusammenhängenden polizeilichen und militärischen Methoden wurden in der Vergangenheit mehrfach gegen ethnische Minderheiten wie Kurden oder Aleviten angewendet. Zuletzt hatte Erdogan die regierungskritischen Demonstranten pauschal als Terroristen tituliert.

Diese Rhetorik hat Folgen. Nach Angaben des türkischen Ärzteverbandes TTB kamen vier Menschen ums Leben, über 7.000 wurden verletzt. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch beklagte (http://www.hrw.org/node/117232) am Mittwoch in einem Bericht, dass Tränengaskartuschen gezielt auf Demonstranten geschossen wurden. Außenministerium und Bundesregierung in Berlin ficht das nicht an. "Die Bundesregierung ist der Meinung, dass die polizeiliche, justizielle und militärische Zusammenarbeit mit der Türkei in ihrer Gesamtheit auch die weitere rechtsstaatliche und demokratische Entwicklung des Landes befördert", heißt es in den Antworten.