Schweden: Gehalt nach Klicks

Bei Nyheter24 entscheidet die Zahl der Zugriffe, wie viel ein Journalist verdient

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Nachrichten wecken Neugier und wieder und wieder das Schlechte im Menschen: Abgesehen vom Universitätsviertel, wo jeder mit sich selbst beschäftigt ist, strecken sich in ganz München, in den U-Bahnhöfen, in der S-Bahn, in der Trambahn und besonders hinter Caféhausschaufenstern, nicht immer unbedingt kluge, aber auf jeden Fall informationssüchtige Köpfe nach der Zeitung aus, die man gerade liest. Selber kaufen wird in der Krise offensichtlich zur Ausnahmeerscheinung. Die Nachrichtenschmarotzer, Mitleser und Nichtkäufer sind allerdings nicht das große Problem der Zeitungs-und Zeitschriftenverleger.

Diesen Verlegern geht es schlecht, weil sich die Werbung rar macht und nun auch noch die Stellenanzeigen wegbrechen, Richtung Internet, wo für sie leider nur „lausiges Kleingeld“ zu holen ist. Mit Ausnahme eines großen Nachrichtenmagazins singen alle dieses traurige Lied. Wehe dem, der in den Medien arbeitet, überall wird abgebaut. Auch das kann teuer werden für Verleger, die das Downsizen der Redaktionen von Magazinen, die nicht einmal mehr Mitleser finden, irgendwie sozial abfedern müssen.

Für diese Probleme kommt nun eine schnell umsetzbare Stellenabbau-Lösung aus Schweden. Wie die taz berichtet, entscheidet bei der schwedischen Internetzeitung Nyheter24 die Zahl der Zugriffe darüber, wieviel der Autor an einem Artikel verdient. Das derart skalierte Leistungsprinzip läßt sich bei fortwährender Schwäche bestimmter Themen (Der Präsidenschaftswahlkampf im Iran, postbürgerkriegerische Strategien im Süden Iraks) leicht als Kündigungsgrundlieferant nutzen. Misserfolg läßt sich genau ablesen. Man braucht wenig Fantasie, um den Satz des Nyheter-CEO, Patrik Sandberg, umzudrehen:

"Unser Lohnsystem soll widerspiegeln, wie tüchtig jemand ist. Wie viele tatsächlich an dem interessiert sind, was der Mitarbeiter produziert."

Dass die in Hits gemessene Tüchtigkeit nur die belohnt, die über Nacktes schreiben, stimmt nicht so ganz. Zwar führt ein Badewannenartikel mit einer nackten Lulu Carter die Liste der All-Time-Top-Five an, aber auch mit dem durchaus anspruchsvollen Thema Urheberrecht läßt sich in Schweden offensichtlich Neugier und Geld erwerben. Fraglich also, ob die von der Vorsitzenden des schwedischen Journalistenverbandes, Agneta Lindblom Hulthén, befürchteten Konsequenzen zwangsläufig eintreffen müssen:

"Eine Verproletarisierung von Journalisten. Wir werden bald ein großes Problem bekommen, wenn so mit dem Respekt vor dem Journalismus umgegangen wird."

Nyheter24 ist erst im vergangenen Jahr gegründet worden. Absicht war es, den schwedischen Boulevardzeitungen Konkurrenz zu machen.