Weiter Theater um Sarrazin

Während Sarrazins seine Anschauungen weiter über Bild verbreitet, gibt es Streit über angemessene Reaktionen. Update

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Der Boulevard hat sein Vergnügen am Aufreger Sarrazin, . "Wirft die Bundesbank Sarrazin jetzt raus?", fragt die Bild-Zeitung heute. Ruprecht Polenz von der CDU hatte dies gefordert: "Ich frage mich, wie lange die Deutsche Bundesbank dem noch tatenlos zuschauen will." Auch in der SPD drängen einige auf den Parteiaustritt Sarrazins - allerdings (noch?) beeinträchtigt von juristischen Schwierigkeiten, hinreichende Gründe für ein neues Parteiausschlussverfahren zu finden. Dass Sarrazin fallen könnte, ist klasse Kasse für den Kiosk.

Und die Blattmacher können sich auf die Schulter klopfen, weil sie mit Sarrazin wieder mal ein Thema setzen, das die Republik querdurch aufnimmt: "Über seine harten Aussagen streitet Deutschland". Bis auf Sarrazin:

Nach Angaben des Internationalen Literaturfestivals Berlin haben Thilo Sarrazin und sein Verlag einen kritischen Gesprächspartner auf dem Podium einer im Haus der Kulturen der Welt geplanten Buchvorstellung abgelehnt. 'Das können wir nicht tolerieren', erklärt Bernd Scherer, Intendant des Hauses. 'Die von uns gewünschte Form der Auseinandersetzung wird dadurch konterkariert. Bleibt es bei dieser Haltung von Thilo Sarrazin und des Verlages, wird die Veranstaltung bei uns nicht stattfinden." Statement des Hauses der Kulturen der Welt zu Thilo Sarrazin

Ergänzung

Wie sich nach Angaben des Tagesspiegel herausstellt, gab es internen Streit zwischen der Leitung des Internationalen Literaturfestivals und dem Intendanten des Hauses der Kulturen der Welt darüber, wer geeigneter Widerpart für Sarrazin bei dessen Buchvorstellung sei. Der Vorschlag von Festivalchef Schreiber, den ZDF-Journalisten Christhard Läpple als Moderator zu engagieren, wurde demnach "mit der Begründung abgelehnt, es handele sich nicht um eine Gegenstimme 'auf Augenhöhe'". Von einer Einmischung seitens des Verlages oder Sarrazins selbst ist im Bericht nicht die Rede.

Tatsächlich dürfte sich Sarrazin mit seinen Thesen, welche die Bild-Zeitung heute in der nächsten Folge zeitgleich mit den Spekulationen über seinen Absturz präsentiert, kaum gegen kritische Gesprächspartner mit einiger Kompetenz auf einem Forum durchsetzen können. Zwar betonte der Verlag DVA in einer Pressemitteilung, dass die Aussage des Hauses der Kulturen "unwahr" sei und dass man "selbstverständlich kritische Gesprächspartner akzeptieren" würde, eine entsprechende Veranstaltung, die dies unternauern würde, steht aber noch aus.

Auch in seinem heutigen Beitrag für die Bild lockt Sarrazin wieder mit einem dicken Brocken aus seinem Gedankensteinbruch, der gezielt auf Provokation aus geschrieben ist: "Warum die Integration vieler muslimischer Migranten am Islam scheitert."

Zunächst beginnt Sarrazin mit einer Art Captatio benevolentiae, in der er den Leser mit "Common sense" schmeicheln will und sich selbst als bescheiden in seinen Forderungen darstellt:

"Es reicht aus, dass Muslime unsere Gesetze beachten, ihre Frauen nicht unterdrücken, Zwangsheiraten abschaffen, ihre Jugendlichen an Gewalttätigkeiten hindern und für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen. Darum geht es."

Dass die überwältigende Mehrheit der Muslime in Deutschland allem Anschein nach genau so lebt - mit Abweichungen, die auch anderskonfessionelle Familien "ohne Migrationshintergrund" kennen - , interessiert Sarrazin aber nicht. Sein Adressat sind auch nicht die Muslime und ihre realen Lebensverhältnisse (siehe dazu Sarrazin: eitel und provokativ) , sondern jene, die "diese Forderungen als Zwang zur Assimilation kritisieren".

Als ob jemand ernsthaft solche Binsenforderungen kritisieren würde - aber gleichwohl, dieser unbekannte Pappkamerad, einmal von Sarrazin geschaffen, "hat in der Tat ein Integrationsproblem". Das ist nun die Überleitung zu den "guten Gründen", weshalb es "in ganz Europa Vorbehalte gegen Muslime" gebe. Damit geht es nun gegen die Religion als solche.

Keine andere würde in Europa so fordernd auftreten, weiß Sarrazin, im Unklaren lassend, welche Forderungen er meint. Moscheen mit Minaretten? Anerkennung als Religionsgemeinschaft? Ist es nicht so, dass die Reaktion auf solche Vorschläge diese erst zu bedrohlichen "Forderungen" ummünzen; davon abgesehen, dass sie völlig legitim sind.

In dem Stil des pars pro toto geht es weiter, einzelne Auffälligkeiten werden für die ganze Religion als identitätsbildend bzw. konstitutiv dargestellt: Keine Gruppe würde in der Öffentlichkeit so sehr ihre Andersartigkeit, insbesondere durch die Kleidung der Frauen, betonen wie Muslime. Als ob es keine Jugendmoden gebe und keine jüdisch Orthodoxen, keine Bayern in Tracht, keine Sikhs, keine Schwestern des christlichen Glaubens, keine Berliner Nerdster. Schließlich zementiert Religionsexperte Sarrazin noch seine fragwürdigen Annahmen von der besonders starken Inanspruchnahme des Sozialstaats und Kriminalität durch muslimische Immigranten mit der Überzeugung, dass "bei keiner anderen Religion (..) der Übergang zu Gewalt, Diktatur und Terrorismus so fließend" sei. Als ob Europas Geschichte nicht anderes erzählen könnte.

"Durch die Art und Weise, wie man in der Öffentlichkeit über Ausländer, Flüchtlinge, Arbeitsmigranten und ethnische Minderheiten, aber auch die Möglichkeit eines gedeihlichen Zusammenlebens mit ihnen spricht, entscheidet sich tatsächlich, ob eine Ausgrenzung von "Fremden" um sich greift." Christoph Butterwegge, Migrationsberichterstattung als Stimmungsmache