Fall Mollath: Das Millionenerbe und ein erhängter Kunde

Erbschaft der Ex-Frau wirft viele Fragen auf – Bundesjustizministerium beobachtet Fall Mollath weiter

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Warum hinterlässt ein Bankkunde seiner Bankerin nahezu seinen gesamten Nachlass? Petra M., die Ex-Frau des in der Forensischen Psychiatrie in Bayreuth einsitzenden Gustl Mollath, erhielt aus dem Nachlass eines ihrer ehemaligen Kunden 800.000 Mark.

Wie die Nürnberger Zeitung berichtet, hat der Kunde Werner S. 1996 Selbstmord begangen. Werner S., der laut NZ bei Siemens als Ingenieur gearbeitet und sich dann selbstständig gemacht hat, wurde erhängt im Keller seines Hauses im Südwesten von Nürnberg aufgefunden. Das Blatt berichtet weiter, Werner S. habe Mollaths Ex-Frau als Alleinerbin bedacht. Seine Ehefrau habe von dem sich auf 1,2 Millionen Mark belaufenden Vermögen nur den Pflichtteil erhalten.

Petra M. wurde in der Erbschaftsangelegenheit von dem Nürnberger Rechtsanwalt Wolfgang Spachmüller betreut. Wie die NZ erwähnt, tauchte Spachmüllers Name auch im Zusammenhang mit der gestohlenen Leiche des schwerreichen Karl Friedrich Flick auf.

Staatsanwaltschaft beruft sich auf "postmortalen Persönlichkeitsschutz"

Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, Antje Gabriels-Gorsolke, sagte, wie auch schon gegenüber der NZ, sie könne zu dem Fall keine Auskunft geben – aus Gründen des "postmortalen Persönlichkeitsschutzes".

Telepolis machte die Behörde auf ein grundlegendes Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Berlin aufmerksam. Im November 2010 hat das OVG im Fall der Jugendrichterin Kirsten Heisig einem Journalisten, dessen Fragen zum Selbstmord der Richterin von der Staatsanwaltschaft nicht beantwortet wurden, Recht zugesprochen. Das OVG entschied in dem Fall, der zu einem Stück Pressegeschichte wurde, dass objektive Umstände, die den Selbstmord umgeben, wie etwa Auffindeort und Todeszeitpunkt, der Presse mitzuteilen sind.

Gabriels-Gorsolke sagte jedoch, Heisig sei eine Person des öffentlichen Interesses gewesen, Werner S. hingegen nicht. Daher dürfe sie keine Auskünfte geben – sie dürfe noch nicht einmal das Datum nennen, an dem Werner S. verstorben ist.

Informationsinteresse der Öffentlichkeit und demokratische Kontrollfunktion der Presse eingeschränkt

In einem Gespräch mit Telepolis widersprach Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, der Auffassung aus Nürnberg: "Die Presse hat eine öffentliche Aufgabe, der in einer demokratischen Gesellschaft eine besonders hohe Bedeutung zukommt. Diese Aufgabe liegt unbestrittenermaßen darin, dass sie in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft, analysiert und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder in anderer Weise an der Meinungsbildung mitwirkt."

Deiseroth sagte weiter, der Fall Mollath werde seit geraumer Zeit öffentlich diskutiert, die dubiosen und bisher unaufgeklärten Hintergründe seien immerhin auch Gegenstand von umfänglichen Untersuchungen eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses gewesen. Für Deiseroth liegt die Schlussfolgerung nahe, dass es sich sowohl bei Gustl Mollath als auch seiner damaligen Ehefrau um – relativ gesehen - Personen der Zeitgeschichte handelt. "Hier steht die Frage im Raum", so Deiseroth, "ob der Suizid des Erblassers möglicherweise im Zusammenhang mit den – auch öffentlich - ausgetragenen Konflikten zwischen diesen Personen der Zeitgeschichte stehen könnte."

Der zeitliche Zusammenhang, die beruflichen Zusammenhänge und der Umfang des vermachten Erbes könnten, so Deiseroth, immerhin für einen Zusammenhang sprechen. "Dies wirkt sich auch zugunsten des presserechtlichen Auskunftsanspruchs aus. Der postmortale Persönlichkeitsschutz geht nach der Rechtsprechung nicht so weit, dass auch die äußeren Begleitumstände eines Todesfalls als höchst persönliche, gegenüber dem Presseauskunftsanspruch vorrangig schützenswerte Informationen zu werten wären und die Öffentlichkeit sich mit der bloßen Mitteilung des Todes und einer zusammenfassenden Bewertung – z.B. den Ausschluss von Fremdeinwirkungen - begnügen müsste", sagt Deiseroth und stellt fest: "Dies würde weder dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit noch der demokratischen Kontrollfunktion der Presse gerecht."

Das Auskunftsbegehren eines Journalisten diene in diesem konkreten Fall "ersichtlich der Erfüllung dieser öffentlichen Aufgabe der Presse."

Die NZ berichtet in dem Zusammenhang mit dem Selbstmord weiter, die Staatsanwaltschaft habe eingeräumt, dass zwar zunächst Ermittlungen geführt wurden, aber diese seien rasch eingestellt worden. Eine Obduktion des Leichnams habe nicht stattgefunden.

Derweil scheint der Fall Mollath auch Änderungen auf der Gesetzesebene zu bewirken. Der Münchner Merkur berichtet, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und der bayerische Vize-Ministerpräsident Martin Zeil (FDP) sollen Eckpunkte für eine Gesetzesänderung erarbeitet haben. Demnach geht es um den Paragraph 63 des Strafgesetzbuchs in dem die Unterbringung in der Psychiatrie geregelt ist.

Laut der Zeitung soll in der Gesetzesänderung festgeschrieben werden, dass Gutachter, die den Patienten beurteilen, regelmäßig wechseln müssen. Außerdem sollen Einweisungen in psychiatrische Kliniken zeitlich befristet und in kürzeren Abständen überprüft werden. Gegenüber Telepolis sagte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums, Leutheusser-Schnarrenberger werde sich derzeit nicht zu dem Vorhaben äußern, aber der Fall Mollath werde weiter von dem Ministerium beobachtet.