Wasserwerfer parken in der Kaserne

Die Landespolizei Niedersachsen und die Bundespolizei zählen bei der Handhabung von Protesten gegen den Castor-Transport auf umfangreiche Hilfe des Militärs

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Im Landkreis Lüchow-Dannenberg wie in La Hague herrschen hektische Betriebsamkeit. Am Verladekran in Dannenberg treffen bald elf Tieflader für die Castor-Behälter ein, die den Atommüll nach Umladung von der Schiene übernächstes Wochenende zum Zwischenlager bringen sollen. In La Hague vollzieht sich der Prozess andersherum: Der Müll wird per LKW zum 30 Kilometer entfernten Bahnhof Valognes gebracht. Straße wie Schiene werden auch dieses Jahr nicht nur im Landkreis Lüchow-Dannenberg von Protestaktionen adressiert.

Seit Wochen ist offensichtlich, dass der diesjährige Protest weitaus mehr Menschen ins Wendland mobilisiert als in den letzten Jahren. Während das Protestspektrum 2010 allerlei Neues aufbietet und sich sogar öffentlich zu einer Gleisdemontage bekennt, ist von Seiten der Polizei nur Übliches zu vernehmen: Der Aufruf zu zivilem Ungehorsam am Gleis wird mit Ermittlungsverfahren beantwortet (der Zähler liegt inzwischen bei rund 1.100), verhaftete Demonstranten werden wohl wieder in Käfigen gehalten und selbstredend möchte man auch nach den ausgeschossenen Augen in Stuttgart nicht auf die liebgewordenen Wasserwerfer verzichten. Da nimmt die Meldung nicht wunder, dass sich die Verfolgungsbehörden erwartungsgemäß auch der Hilfe der Bundeswehr bedienen.

Den Stein hatte der Grünen-Politiker Christian Ströbele ins Rollen gebracht, der von der Bundesregierung die Beteiligung ihres Militärs an der Vorbereitung und Absicherung des Castortransportes gefragt hatte. Ströbele hatte sich explizit nach Aufklärungsflügen durch Tornado-Kampfflugzeuge in RECCE-Mission erkundigt: "Die Bundeswehr hat Anträgen des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport und des Bundesministeriums des Inneren nach Unterstützungsleistungen im Rahmen der Amtshilfe (Artikel 35 Absatz 1 des Grundgesetzes) zugesagt", heißt es in der Antwort der Bundesregierung.

In den inzwischen stetig zunehmenden Amtshilfeersuchen zum Einpflegen des Militärs in zivile Belange geht es um den auch von der Bundesregierung zitierten Artikel 35 Absatz 1 GG, der die Bundeswehr zum Einsatz im Innern ermächtigt. Die Grenzen sind eigentlich klar gesteckt: im Falle von Naturkatastrophen oder Unglücksfällen.

Unter anderem beim G8-Gipfel in Heiligendamm hatte die Bundeswehr neben Logistik, Transport und Flugabwehr auch mit Aufklärung ausgeholfen: Tag- und Nachtsichtgeräte, Spürpanzer und Tornado-Flugzeuge ( Tornadoeinsatz auf dem kleinen Dienstweg). Die Tornado-Überflüge sollten unter anderem helfen, Depots mit Material für Barrikaden oder manipulierte Verkehrswege ausfindig zu machen. Hierzu wird das Gelände über einen längeren Zeitraum mehrmals überflogen und die aufgenommenen Bilder per Software miteinander verglichen. So werden Veränderungen in der Bodenbeschaffenheit ausgemacht, die dann näher überprüft werden können. Auch die Camps von Tausenden Demonstranten wurden fotografiert, was heftigen Protest am Einsatz des Militärs zur Kontrolle politischer Betätigung auslöste.

Allerdings schränkt die Bundesregierung ein, der Einsatz von RECCE-Tornados "in Verbindung mit den Castor-Transporten ist nicht vorgesehen". Der Sprecher des Niedersächsischen Innenministeriums, Klaus Engemann, unterstrich am Dienstag, die Bundeswehr würde die Bundespolizei lediglich durch "Bereitstellung von Unterkünften, Hubschrauberlandeplätzen sowie Park- und Unterstellmöglichkeiten für Fahrzeuge und Großküchenausstattung" unterstützen. Eine Nutzung bundeseigener Liegenschaften erfolge aus Kostengründen, des Weiteren würde die Armee keine Aufgaben im polizeilichen Einsatzgeschehen wahrnehmen: "Dies ergibt sich bereits aus der verfassungsrechtlichen Trennung von Polizei und Bundeswehr. Daher sind weder Einsatzkräfte der Bundeswehr angefordert worden, noch ist deren Einsatz geplant", belehrt der Sprecher.

Engemann wirft Demonstranten "unverantwortliche Scharfmacherei" vor, wenn sie darauf hinweisen, dass im Rahmen der Amtshilfe beim Castor-Transport Soldaten eingesetzt werden. Mag ja sein, dass die Militärs tatsächlich nicht mit Pionieren im Wald herumrobben oder, wie beim G8, Raketenabwehrgeschütze bedienen und mit Feldjägern Kreuzungen sichern. Doch die Liste der Unterstützungsleistungen geht, wie in den Jahren zuvor, über Gulaschkanonen und Hartkekse hinaus.

Amtshilfeersuchen des niedersächsischen Landes- und des Bundesinnenministeriums

Aus einem Telepolis vorliegenden Papier des Verteidigungsministeriums geht hervor, dass sowohl das niedersächsische Landes- wie auch das Bundesinnenministerium Amtshilfeersuchen gestellt haben. Die Begründung ist lapidar: "Keine ausreichende eigene Kapazität" (was Demonstranten auch in Anspruch nehmen mögen). 1.120 Landespolizisten können jetzt in den Kasernen und Liegenschaften Lüneburg, Bergen, Munster und Ehra-Lessien nächtigen und "im Bedarfsfall" auch verpflegt werden. In Gebäuden und Gelände können Befehlsstellen eingerichtet und die Funkversorgung sichergestellt werden sowie Großraumzelte und sonstige Container zur Versorgung aufgestellt werden. Die Polizei verzichtet auf eine Verteidigung durch Soldaten, sprich: bringt ihre eigene Bewaffnung mit und setzt sie im Bedarfsfalle auch ein.

Maximal 270 Bundespolizisten werden zudem in Lübtheen, Fassberg, Diepholz, Hannover, Wunstorf, Fritzlar, Bückeburg, Celle und Veitshöchheim untergebracht bzw. die Logistik der Liegenschaft zur Mitnutzung freigegeben. Die Verpflegung erfolgt in "Truppenküchen". Hier werden Wasserwerfer und mobile Großküchen frostsicher geparkt, Gleise und Waschanlagen genutzt. Bis zu 12 Hubschrauber frequentieren die Landeplätze bzw. Abstellflächen der Kasernen oder Flugplätze und werden dort auch betankt. Hinzu komm die Bereitstellung von Faltstraßen, deren Verlegung durch Soldaten besorgt wird.

Auch das Papier des Verteidigungsministeriums legt Wert darauf, dass keine Tornado-Flugzeuge zur Aufklärung genutzt würden. Anwohner hatten indes in der letzten Zeit eine auffällig höhere Frequenz militärischer Überflüge registriert. Hierzu erklärt das Ministerium, das (einzige) Aufklärungsgeschwader "Immelmann" führe just im Moment "einen normalen Ausbildungs- und Übungsflugbetrieb" durch.

Interessant wäre noch die Auskunft, ob die angeblich fehlenden militärischen Aufklärungsfähigkeiten anderweitig kompensiert werden. In Heiligendamm wurde die Polizei etwa mit Bildern von Satelliten versorgt, die zuvor aufbereitet und vom Technischen Hilfswerk in die polizeilichen Leitstellen übermittelt wurden ( Satellitenaufklärung auch zur Handhabung von politischem Protest). Nicht nur die Bundeswehr verfügt über Satelliten, die ebenso wie Aufklärungsüberflüge geringe Bodenveränderungen registrieren oder hochauflösende Bilder von Menschenansammlungen auch bei schlechter Sicht oder nachts liefern. Beim weitläufigen, unüberschaubaren Castor-Protest durchaus ein gewichtiger technischer Vorteil.