Volkssaufen mit Kräutern

Außer Kontrolle

So unbeliebt der Begriff Volk auch sonst ist, bei der Werbung greift er immer. Und sei es nur um hochprozentigen Kräuterfusel zu verkaufen ;)

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Ach ja, was ist nicht alles Volkes Sache hier im guten alten Deutschland, das während der WM oder EM endlich wieder mit dem schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer gewürdigt wird, während in anderen Zeiten Fahnen, Briefpapier oder Liedertexte, die mit den Worten "schwarz rot gold" spielen, peinlich-verschämt gleich neben dem letzten Nazivorwurf landen.

Letztendlich ist die Volksüberlegung heutzutage sowieso schlichtweg so lächerlich als würde man die holländischen Tomaten, die von kroatischen Fahrern im LKW mit dem polnischen Kennzeichen nach Deutschland gegurkt (pun intended) werden, noch versuchen, in irgendeine Landeszugehörigkeit zu pressen. Ein Blick selbst in die kleinsten Dörfchen zeigt jedem, der noch Ohren hat zu hören und Augen zu sehen, dass die Zeit des "Aussehen = Nationalität" endgültig vorbei ist und nur noch höhnisches Lachen mit sich bringen sollte. Der "deutsch aussehende Mensch" (was auch immer das heißen soll, aber belassen wir es mal bei dem Ausdruck, statt das noch peinlichere "Toitsche" zu nehmen) entpuppt sich oft genug als Mensch nordischer Abstammung, der "Ausländer" (puh!) hat längst den deutschen Personalausweis und lebt seit längerer Zeit hier als derjenige, den wer auch immer, warum auch immer, als deutsch ansieht.

Die ganze Diskussion um Ausländer, Volk, Nation etc. ist darum auch schlichtweg überholt und einfach nur peinlich, von den rassistischen (nicht nur) Untertönen ganz zu schweigen. Nur haben bedauerlicherweise manche, die "Ausländer raus" grölen, oft genug wohl zu wenig Intellekt um sich einmal mit der eigenen Abstammung und der Frage, wer eigentlich wann wieso und wo als Ausländer gilt, zu befassen. Stattdessen frönen sie dem Pseudo-Nationalismus und dem offenen Rassismus und sind mit der Frage, wer denn nun auf Grund welcher Logik zu welcher "Nation" gezählt werden soll, völlig überfordert.

Umso bemerkenswerter ist, dass die "Volks"zeitung mit den vier Buchstaben, die auch gerne jenen Hobbypaparazzi eine Bühne bietet, die einen offensichtlich psychisch kranken Menschen nackt über die Straße robben sehen und die Kamera "draufhalten" statt zu helfen, von der Zahnbürste bis zum PC immer mehr Dinge als "Volks-XY" bewirbt.. pardon, über sie berichtet natürlich. Ist die Volks-Zahnbürste aber lediglich genauso peinlich wie der Volks-PC, so fragt man sich, welcher hochprozentige Teufel da wen geritten hat, wenn in Zeiten eines Mißfelder, der von der "Subvention der Tabak- und Alkoholindustrie durch ALGII-Empfänger" schwafelt, und einer alarmierend hohen Zahl von Alkoholikern in Deutschland, gerade ein hochprozentiger Kräuterschnaps als Volksarznei propagiert wird.

Als gäbe es bei Erkältung, Muskelkater und Co. keine anderen Mittelchen, die auf den hohen Alkoholgehalt der Volksmedizin verzichten, wird hier ein Kräuterschnaps zur Arznei hochstilisiert. Sieht man sich einmal die Anwendungsgebiete an, so liest man: Traditionell angewendet, innerlich: Zur Besserung des Allgemeinbefindens (bzw. zur Stärkung oder Kräftigung) bei Belastung von Nerven und Herz und Kreislauf mit innerer Unruhe und Nervosität. Zur Förderung der Schlafbereitschaft. Bei Wetterfühligkeit. Zur Besserung des Befindens bei Unwohlsein, zur Förderung der Funktion von Magen und Darm, insbesondere bei Neigung zu Völlegefühl und Blähungen. Als mild wirksames Arzneimittel zur Besserung des Befindens bei unkomplizierten Erkältungen und zur Stärkung. Äußerlich: Zur Unterstützung der Hautdurchblutung z.B. bei Muskelkater und Muskelverspannungen. Das Arzneimittel ist ein traditionelles Arzneimittel, das ausschließlich auf Grund langjähriger Anwendung für das Anwendungsgebiet registriert ist. Enthält 79 Vol.-% Alkohol.

Dass die allgemeine Belastung bzw. das Empfinden dieser Belastung beim Genuss von Alkohol genauso schwindet wie Nervösität, ist eine Binsenweisheit. Zwar wird in der Beilage noch angemerkt, dass man ja die Arznei nur verdünnt einnehmen soll, dennoch sind die Werte, die sich durch den "Arzneigenuss" ergeben, Werte, die für sich allein sprechen:

Wie viel, wie oft und wie sollten Sie Klosterfrau Melissengeist anwenden? Innerliche Anwendung: Soweit nicht anderes verordnet, nehmen Erwachsene 1 bis 3 mal täglich 5-10 ml (s. Messbecher) Klosterfrau Melissengeist bis höchstens 25 ml/Tag ein.

Vorzugsweise mit Wasser verdünnt oder auf einem Stück Brot, so heißt es, soll man die Arznei einnehmen, denn:

Bei Beachtung der Dosierungsanleitung werden bei jeder Einnahme von 5 ml bis zu 3,1 g Alkohol und bei jeder Einnahme von 10 ml bis zu 6,2 g Alkohol zugeführt. Vorsicht ist geboten. Dieses Arzneimittel darf nicht angewendet werden bei Leberkranken, Alkoholkranken, Epileptikern, Hirngeschädigten, Schwangeren und Kindern.

Warum dann ein hochprozentiger Kräuterschnaps, der im Wesentlichen den Schwedenkräutern ähnelt, als Volksarznei hochgepusht wird, ist wohl etwas, was nur die BILD selbst beantworten kann. Täglich also 18,6 g Alkohol per Volksarznei und alles wird gut. Eine solche Kampagne hätte ja sogar ein hübscher Anreiz für die Diskussion darum, was eigentlich Arznei, Droge(n) oder Sucht sind, sein können. Aber so war es wohl nicht gemeint.

Aber passend zur Narrenzeit kann der Kater derjenigen, die das Ganze Jahr über die Nase so hochhalten, dass es hineinregnet, wenn sie nur jemanden mit einer Bierflasche auf der Straße sehen, seit Donnerstag aber mit bunt geschminktem Wängelein und der umgehängten riesigen Plastikspritze voller Apfelkorn im Schlepptau, dann wenigstens mit der Volksarznei bekämpft werden. Bei Alkoholkranken darf die Arznei nicht angewendet werden, aber wer, außer den Säufern, die vor Aldi oder beim Bahnhof stehen und ihre Blase nicht mehr kontrollieren können, ist in der "Volks"wahrnehmung schon alkoholkrank?

Darauf dann kein Püls, sondern ein Fingerhut der Volksarznei - weils die Nerven beruhigt ;)