Spanien: Kippt Wikileaks das geplante Gesetz zur Webseitenzensur?

In den zahllosen Dokumenten befinden sich auch 115 Dokumente, die sich mit dem umstrittenen "Sinde-Gesetz" befassen

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Zwar ist unklar, was in den 115 Dokumenten genau steht, doch der spanische Anwalt Javier de la Cueva hat öffentlich gemacht, dass sie sich mit einem umstrittenen Gesetzvorhaben in Spanien zum Geistigen Eigentum beschäftigen. Sie sind tatsächlich mit dem Etikett "KIPR" versehen, worauf der bekannte Fachanwalt für Rechte im Internet (siehe "Ich will meine 22 Cent zurück") hingewiesen hat. KIPR steht für "Intellectual Property Rights", wie in offiziellen Dokumenten der US-Administration nachgelesen werden kann.

Man fragt sich, warum sich die US-Botschaft nicht nur damit beschäftigt, die spanische Justiz davon abzuhalten, im Fall von Morden und anderen schwere Verbrechen und Menschenrechtsverstößen zu ermitteln (siehe Wie die USA in Spanien Politik machen), sondern sich auch ausgiebig mit der spanischen Gesetzgebung zum Geistigen Eigentum beschäftigt. Vermutet wird, dass auch hier im US-Interesse gezielt Einfluss genommen wurde.

Deshalb fordert der Anwalt nun von der Tageszeitung El País, die Dokumente schnell freizugeben. Schließlich, darauf weist er ebenfalls hin, wird das umstrittene Gesetz gerade debattiert und die Veröffentlichung könnte einen Einfluss auf die Abstimmung haben. Bisher wird er von der Zeitung, die der Regierung sehr nahe steht, noch vertröstet. "Hab Geduld Javier, El País arbeitet daran. Es wurden schon weitere Veröffentlichungen angekündigt", antwortete ihm die Journalistin Gabriela Cañas.

Der gesamte Vorgang war ohnehin schon mit vielen Sonderbarkeiten gespickt. Deshalb konnte man, wie im Fall des in Bagdad von US-Soldaten ermordeten spanischen Journalisten, davon ausgehen, dass hier im Hintergrund an diversen Strippen gezogen wird. Was hat ein Vorhaben, das auch Websperren vorsieht, um angeblich gegen Piraterie vorzugehen, ausgerechnet in einem "Gesetz zum nachhaltigen Wirtschaften" zu suchen, fragte sich Telepolis schon vor einem Jahr (siehe: Wie kommt die Internetsperre in ein Gesetz zum "nachhaltigen Wirtschaften"?). Dass die Bestimmungen zur Zensur von Webseiten wieder einmal durch die Hintertür heimlich eingefügt worden waren, ließ Spekulationen ins Kraut schießen.

Ohnehin war es nicht der erste Vorstoß in diese Richtung und noch dazu sollte im Kulturministerium von Ángeles González-Sinde (weshalb vom Sinde-Gesetz gesprochen wird) eine "Kommission für geistiges Eigentum" gebildet werden, die wieder einmal auf administrativem Weg zur Internetzensur berechtigt sein sollte. Zwar ruderte der sozialistische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero zurück und behauptete, es sollen keine Webseiten geschlossen werden, doch glauben braucht man das nicht. Schon zuvor wurde das mehrfach von seiner Regierung versucht. Sogar Organen, wie der umstrittenen Autorenvereinigung SGAE, sollte ohne richterliche Kontrolle ein Zensurrecht eingeräumt werden.

Dass nun gerade der für Schwerstverbrechen zuständige Nationale Gerichtshof die richterliche Kontrolle ausüben soll, ist auch kein Trost. Ohnehin soll das im Schnellverfahren auf Antrag der Kommission in vier Tagen passieren. Doch gerade im Fall des ermordeten spanischen Kameramanns haben die Wikileaks-Dokumente schon gezeigt, wie hoch der politische Einfluss gerade an diesem Sondergericht ist. So konnte dieser Gerichtshof schon illegal Zeitungen und Radios schließen, wie sich erst nach vielen Jahren herausgestellt hat.

Da das nicht das erste Mal war und der Gerichtshof immer wieder vom Obersten Gerichtshof korrigiert wird, hat das Sondergericht ausreichend bewiesen, dess es nicht über die nötige Sensibilität verfügt, um über Zensur und Meinungsfreiheit entscheiden zu können.

Das gilt auch für die umstrittene Kultusministerin. Denn die wollte kürzlich engagierten Schauspielern, wie Javier Bardem, den Mund verbieten. Der international bekannte Bardem hatte mit zahlreichen Kollegen gegen die spanische Politik in der Westsahara protestiert, nachdem Marokko ein Wüstenlager brutal geräumt hat, wobei es einige Tote gab. Wer kein "Experte" sei, solle keine "Meinung äußern und zur Konfusion beitragen", belehrte Ángeles González-Sinde die Kulturschaffenden.

Doch Konfusion herrschte wohl nur bei der Kultusministerin, denn nach dem Europaparlament hat nun sogar das spanische Parlament das Vorgehen Marokkos gegen die Saharauis in der besetzten Westsahara verurteilt.