Schultrojaner vorerst Geschichte

Verlage und Ländervertreter einigen sich "im beiderseitigen Einvernehmen" auf einen Verzicht auf die Schnüffelsoftware

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Einer Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus nach haben sich Vertreter der Bundesländer und der Schulbuchverlage darauf verständigt, auf den Einsatz der im "Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG" vereinbarten Software zum Durchsuchen von Schulrechnern nach Arbeitsblättern und anderen Materialien mit Zitaten aus Schulbüchern zu verzichten. Das sah der § 6 Absatz 4 des 2010 geschlossenen Abkommens mit Schulbuchverlagen und Verwertungsgesellschaften vor, der die Unterschrift des bayerischen Kultusministerialdirektors Josef Erhard trägt und für alle 16 Bundesländer gilt. Konkret steht dort, dass die Verlage "den Schulaufwandsträgern sowie den kommunalen und privaten Schulträgern auf eigene Kosten eine Plagiatssoftware zur Verfügung [stellen], mit welcher digitale Kopien von für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werken auf Speichersystemen identifiziert werden können".

Nach der Entdeckung der Passage im letzten Jahr war ein Proteststurm losgebrochen, an dem sich auch viele Lehrer beteiligten und der zum Aufstieg der Piratenpartei beitrug. Zu Anfang der Affäre versuchten Politiker wie die grüne nordrhein-westfälische Bildungsministerin Sylvia Löhrmann das im Volksmund "Schultrojaner" genannte Programm mit dem Argument verteidigten, man habe mit dem Vertrag einen "Rechtsrahmen" geschaffen, "der das Urheberrecht der Verlage schützt und die Schulen gleichzeitig handlungsfähig macht", weil sie sonst "jede Kopie aus einem Schulbuch einzeln mit den Urhebern abrechnen" müssten. Allerdings wurde den Verlagen dieses Kopienverbotsrecht erst in der letzten Dekade von der damaligen SPD-Bundesjustizministerin Brigitte Zypries geschenkt - und Verlage können nur Leistungsschutz- oder Nutzungs-, aber keine Urheberrechte inne haben.

Weil sich im Zuge der Diskussion um das Programm, dass eigentlich dieses Frühjahr zum Einsatz kommen sollte, immer mehr Bürger und Medien fragten, warum Schulen Verlagen jedes Jahr große Summen an Steuergeldern zuschanzen, wenn sie stattdessen offene Lehrmaterialien entwickeln und nutzen könnten, breitete sich offenbar auch in den Führungsetage der Verwerter ein gewisses Unbehagen aus, das dazu beitrug, den Schultrojaner vor den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen "im beiderseitigen Einvernehmen" zu beerdigen. Dafür beginnen im Sommer Verhandlungen, in denen "neue Lösungen" zum Schutz der Monopolinteressen der Verlage entwickelt und diesmal auch mit den Lehrerverbänden diskutiert werden sollen.