Sparhaushalt macht Portugal zum Hexenkessel

Präsident Cavaco Silva warnt, man dürfe die Sparziele "nicht um jeden Preis durchsetzen"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Portugal stehen schwierige Tage bevor. Die konservative Regierung versucht gegen massive Proteste, die es auch Wochenende erneut gab, ihren Sparhaushalt durch das Parlament zu bringen. Sie hat den Haushaltsentwurf am Montag vorgelegt. Während die Regierung im Parlament die Details vorstellte, begann die Empörten-Bewegung am Abend mit der Belagerung des Parlaments. Sie hat den Rücktritt der konservativen Regierung unter Pedro Passos Coelho gefordert. "Zum Teufel" wünscht sie die Troika aus EU‑Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB), die Portugal den harten Sparkurs im Rahmen der Nothilfe aufgezwungen habe, heißt es im Aufruf zur Belagerung.

Die Bewegung knüpft an den Erfolg ihrer Proteste an. Es wurde erwartet, dass sich erneut viele tausende Menschen beteiligen. Die Mobilisierung hätte gezeigt, dass der "Kampf der einzige Weg" gegen das mit der Troika vereinbarte Memorandum ist. Sie können auf die Fahnen schreiben, dass am 15. September ihrem Aufruf knapp eine Million Menschen befolgten und dagegen protestierten, dass Coelho den Arbeitnehmeranteil an der Sozialversicherung von 11 auf 18% erhöhen und im Gegenzug den Arbeitgeberanteil senken wollte. Als eine Woche später 15.000 Menschen den Präsidentenpalast belagerten, knickte er ein und nahm die Pläne zurück.

15oct.jpg

Danach hat die Regierung an "enormen Steuererhebungen" gearbeitet, wie sie Finanzminister Vítor Gaspar ankündigte. "Es gibt keinen Handlungsspielraum", sagte er auf einer Pressekonferenz am späten Montag. Längst war für die Empörten klar, dass die Regierung die Bevölkerung nur "täuschen" will, um sie an einer anderen Stelle "auszurauben". Dass die Einkommenssteuer (IRS) um 30% erhöht werden soll, machte das für sie klar, weshalb sie erneut auf die Straße gehen. Wie bei den Ausgangsplänen wird das dazu führen, dass die Beschäftigten durchschnittlich im Jahr einen Monatslohn verlieren.

Die Steuererhöhungen treffen auch Geringverdiener. Für sie wird der IRS um drei Prozentpunkte auf 14,5% erhöht, der Spitzensteuersatz steigt nur knapp von 46,4 auf 48%. Nicht einmal das Arbeitslosengeld wird ausgenommen, haben Medien berichtet, denen ein Haushaltsentwurf zuvor zugespielt wurde. Die 16% Arbeitslosen, ein neuer Rekord, sollen vom Arbeitslosengeld 6% abführen. Allein mit der Einkommensteuer will die Regierung von 2,8 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen.

Die Zeitung Diário de Notícias hat vorgerechnet, dass der Mittelstand besonders zur Kasse gebeten wird, der schon mit früheren Sparpaketen stark an Kaufkraft verloren hat. "Geringe Einkommen zahlen höhere Einkommenssteuern", titelte die Zeitung. Vorgerechnet wird, dass die Steuererhöhungen in unteren Einkommensgruppen besonders hoch ausfallen. Ledige, besonders im öffentlichen Dienst, trifft die Steuererhöhung besonders stark, resümiert die Zeitung. Statt einer Progression für höhere Einkommen sollen sie im Verhältnis zu niedrigeren bevorteilt werden. Erst bei einem Jahresabkommen ab 80.000 Euro soll eine Zusatzsteuer von 4% befristet für ein Jahr erhoben werden.

Daneben sind weitere Einschnitte geplant. Die Renten sollen stark gekürzt und die Immobilien-, die Kfz-, die Tabak- und die Mineralölsteuer erhöht werden. Ein Zigarettenpäckchen, das bisher etwa 3,5 Euro kostet, soll in Zukunft 5 Euro kosten. 44.000 Stellen im öffentlichen Dienst sollen gestrichen werden. "Wir befinden uns vor der bisher größten Entlassungswelle, die Portugal im öffentlichen oder privaten Sektor erlebt hat", kritisiert der große Gewerkschaftsverband CGTP. Zahllose Mitglieder und Sympathisanten waren acht Tage von Braga in die Hauptstadt marschiert. Am Samstag kam der "Marsch gegen die Arbeitslosigkeit" in Lissabon an, wo zahllose Menschen erneut demonstriert haben.

Die Gewerkschaften wollen den Haushalt verhindern und mobilisieren zu einer Streik- und Protestwoche vom 20. bis -27. Oktober. Damit laufen sie sich für den Generalstreik warm, der am 14. November stattfindet, wenn das Parlament über den Haushalt abstimmt. Erwartet wird, dass sich dem Generalstreik auch die beiden großen spanischen Gewerkschaften anschließen. Auch in Griechenland, Italien und Frankreich wird über die Teilnahme in den großen Gewerkschaftszentralen debattiert.

Dem Widerstand gegen diese Pläne hat sich auch der Richterverband angeschlossen. Die Richter zweifeln daran, ob diese Steuererhöhungen von der Verfassung gedeckt sind. Als verfassungswidrig hatten es Verfassungsrichter erst kürzlich die Streichung des 13. und 14. Monatsgehalts im öffentlichen Dienst gekippt. Auch im Militär brodelt es bereits. Am Wochenende warnte Präsident Aníbal Cavaco Silva, man dürfe die vereinbarten Sparziele "nicht um jeden Preis durchsetzen". Als er am 5. Oktober, dem "Tag der Republik", die Landesfahne verkehrt herum aufzog, rief einer der Umstehenden: "So ist es im ganzen Land. Es steht kopf."