Ärztliche Schweigepflicht? Aber doch nicht, wenn die Polizei etwas will

Außer Kontrolle

Der "Isarmord" ist für die Polizei Grund genug, um psychisch Kranke um "freiwillige Genproben" zu bitten. Die ärztliche Schweigepflicht wird bei der Suche ins Blaue einfach außen vor gelassen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am 28. Mai 2013 wurde ein 31 Jahre alter Radfahrer, der zusammen mit seiner Verlobten an der Isar entlang fuhr, von einem Mann erstochen. Der Mann, so die Verlobte, habe ihr zunächst ins Gesicht gespuckt, dann stach er ihrem Verlobten ins Herz. Der 31 Jahre alte Mann (Domenico L.) starb, die Polizei ist derweil mit der Sonderkommission "Cornelius" dabei, den Täter zu ermitteln. Bisher ist wenig bekannt, die Angaben zum Aussehen des Täters sind wenig aussagekräftig (der Täter soll etwa 30 Jahre alt sein, 1,75 Meter groß mit dunklen oder blonden Haaren); es gebe DNA-Spuren, wurde verlautet und eine Belohnung in Höhe von 10.000 Euro für sachdienliche Hinweise ausgelobt.

Diese DNA-Spuren sind es auch, die die Polizei derweil die diversen psychiatrischen Einrichtungen kontaktieren lässt. Denn, so die Polizei, es bestehe ja die Möglichkeit, dass der Täter psychisch gestört sei. Dies ist Grund genug, um nun bei den Einrichtungen vorstellig zu werden bzw. schriftlich darum zu bitten, die persönlichen Kontaktdaten der männlichen Patienten anzufordern. Da der Täter der Frau vor der tödlichen Attacke auf Domenico ins Gesicht spuckte, wird besonderer Augenmerk auf die Personen gelegt, die z.B. durch verstärkte Aggression aufgefallen sind oder sogar durch eben diese Form der Aggression. Die Polizei fragt zunächst bei den Einrichtungen nach, lässt sich von diesen die Kontaktdaten der Männer geben und sucht dann die Patienten selbst, z.B. in betreuen Wohnanlagen, auf, um sie dort um die freiwillige Abgabe einer DNS-Probe zu bitten.

Wie die Süddeutsche Zeitung treffend anmerkt, wirft dieses Prozedere datenschutzrechtliche Fragen auf. Die Polizei sieht allerdings ihre Vorgehensweise als völlig legitim an. Da es um Mord gehe, seien auch Auskünfte, die sonst der ärztlichen Schweigepflicht/dem Patientengeheimnis unterliegen, notwendig und deren Einholung angemessen. Diese Ansicht ist nur dann nachvollziehbar, wenn erneut die Formel "Der Zweck heiligt die Mittel" als Argument genutzt wird, nicht aber, wenn bedacht wird, dass es noch nicht einmal Beweise dafür gibt, dass der Täter in irgendeiner Weise psychisch gestört ist bzw. in einer Einrichtung lebt. (Nachtrag: Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass sich die Beweise ja durch das Prozedere ergeben würden, so müssten dennoch hinreichend Indizien oder nachvollziehbare und deutliche Verdachtsmomente vorliegen, die belegen, dass hier der Verdacht sich auf einen psychisch gestörten Menschen richten sollte und dieser zudem auch noch Patient in einer derartigen Einrichtung ist. Jedoch liegt lediglich eine vage Annahme dafür vor.)

Die Art und Weise, wie hier die DNA-Proben eingesammelt werden, natürlich freiwillig, ist ein Stochern im Nebel. Aus den Umständen der Tat, so die Meinung der Polizei, ließe sich ableiten, dass es sich um einen Menschen mit niedriger Hemmschwelle bzw. psychischer Störung handelt. Doch ist daraus, dass ein Mann eine Frau anspuckt, ihren Verlobten, der ihn zur Rede stellt, dann erst in ein Handgemenge verwickelt und diesen schließlich niedersticht, tatsächlich ersichtlich, dass eine niedrige Hemmschwelle vorliegt? Und wie wird sich ein plötzlicher Besuch von Polizisten gerade bei psychisch kranken Menschen auswirken, die z.B. unter Angststörungen oder Paranoia leiden? Dass die Polizei wenig sensibel vorgeht, lässt sich aus einer Aussage eines betroffenen Patienten ableiten, der morgens von Beamten ohne vorherige Information aus dem Bett geklingelt wurde.

Einen richterlichen Beschluss für die Herausgabe der Daten konnten die Beamten nicht vorlegen, die Abgabe der DNA-Proben erfolgt auf freiwilliger Basis.