Der ist ja schon gestraft genug

Außer Kontrolle

Ein Rollstuhlfahrer wird unter fadenscheinigen Begründungen aus einem Fitnesstudio herauskomplimentiert und macht seinem Ärger auf Facebook Luft. Und der Studiobetreiber zeigt, wie Schadensbegrenzung nicht aussehen sollte

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Bitte kommen Sie nicht wieder

Dass auch Körperbehinderte Fitnessstudios benutzen (wollen), ist für viele Menschen Neuland. Nicht nur sind die meisten Studios nicht auf Behinderte eingerichtet, auch die Trainierenden sind oft überrascht, wenn Menschen auf Unterarmgehstützen oder im Rollstuhl hereinkommen. Für die Angestellten ist es zunächst wichtig zu wissen, ob das Studio überhaupt behindertengeeignet ist, um weder mit Behörden noch Versicherungen Probleme zu bekommen. Dann gilt es, dies einem interessierten Körperbehinderten auch freundlich zu vermitteln, ohne dass automatisch das große D wie Diskriminierung auftaucht.

Wie es nicht gemacht werden sollte, demonstrierte jüngst ein Saarbrücker Fitnesstudio. Der Mitarbeiter des Studios ließ Dominik D., der seit einem Unfall mit dem Snowboard querschnittsgelähmt ist, die Geräte ausprobieren, teilte ihm nach einer halben Stunde jedoch dann mit, dass er bitte nach dem Abschluss der Übungen das Studio verlassen und nicht wieder herkommen solle.

Dominik zeigt sich irritiert. Ob er etwas falsch gemacht habe, fragt er. Doch die Antworten des Angestellten sind eher irreführend. Mal heißt es, er habe mit seinem Chef gesprochen und dieser habe ihm aufgetragen, Dominik zum Gehen aufzufordern, dann werden versicherungstechnische Belange aufgeführt, dann wieder soll das Ordnungsamt etwas gegen die Benutzung des Studios durch Rollstuhlfahrer haben. Nachdem keine Einigung in Sicht ist, verlässt Dominik das Studio und fragt beim Ordnungsamt nach, ob Auflagen seinem Training im Studio gegenüberstehen - laut Saarbrücker Zeitung ist das Ordnungsamt jedoch eher genauso irritiert wie Dominik und hat für die Angelegenheit nur ein Kopfschütteln über.

Facebook, Wut und Medienrummel

In den Vor-Internet-Zeiten wäre die Angelegenheit damit größtenteils erledigt gewesen, Dominik hätte sich ggf. bei Freunden und Verwandten noch einmal über alles ausgelassen, eine Lokalredaktion wäre ggf. auf Dominik zugekommen, hätte ein Interview geführt und danach wäre der Fall einer der vielen Fälle gewesen, in denen Körperbehinderte mit Ausgrenzung konfrontiert werden. In Zeiten des Internet aber haben derartige Geschehnisse dadurch, dass sie von Betroffenen geschildert werden, eine große Streuwirkung. Dominik beispielsweise machte, nachdem er sich bei der Zentrale der Fitnesskette noch einmal über die Gründe für die Bitte zu gehen informierte, seinem Ärger auf Facebook Luft. Die Kette habe in ihren Studios schwere Türen, man sei nicht auf Behinderte eingestellt, hätte man Dominik mitgeteilt.

Obwohl der genaue Wortlaut der Äußerungen Dominiks in keinem Artikel auftaucht, heißt es, der Ton sei "nicht nett" gewesen. Der Geschäftsführer wird die Äußerungen später als Beleidigung deklarieren, aber bis zu diesem Zeitpunkt hat die Geschichte bereits ihren Lauf genommen.

Dominiks Kommentare werden gelesen, bewertet und sie entfalten ihre Wirkung. Eine Frau, die sich als Trainerin bewerben wollte, sieht nun davon ab, andere wollen ihre Mitgliedschaft kündigen.

Schadensbegrenzung? Fehlanzeige

Was nun kommt, lässt sich freundlich als das genaue Gegenteil von Schadensbegrenzung bezeichnen. Der Geschäftsführer ist zunächst für die Saarbrücker Zeitung nicht zu sprechen, meldet sich später jedoch und schiebt zunächst einmal die Verantwortung auf Dominiks Eintrag bei Facebook, die Reaktion wird somit zur Aktion umgedeutet. Eine "harte Nuss" sei der Eintrag gewesen, damit habe sich Dominik unfair gegenüber der Fitnesskette verhalten. Zwar wisse er nicht genau, was vor Ort geschehen sei, dennoch hält ihn dieses Unwissen nicht davon ab, das Verhalten der beiden Angestellten als "nicht in Ordnung" zu bezeichnen und im gleichen Maße die Facebookeinträge sowie den dadurch entstandenen Medienrummel als das Problem des Ganzen anzusehen. Die Fitnessstudios seien nicht auf Behinderte eingerichtet, heißt es von seiner Seite und im selben Moment wird angeboten, ein Treffen mit Dominik anzuberaumen, um zu schauen, wie dieser "so drauf ist". Wenn Dominik zugebe, eine Dummheit gemacht zu haben, dann könne er auch im Studio trainieren. Eigentlich, so heißt es letztendlich, könnte man Dominik ja auch wegen Beleidigung verklagen, aber der sei ja schon gestraft genug. Es gehört wenig Phantasie dazu, hinter dieser Bemerkung einen direkten Hinweis auf die Körperbehinderung zu vermuten. Abschließend wird noch auf das Hausrecht hingewiesen, dass jedem zustehe genau wie in der Disco.

Die Aussagen zeigen, dass durch fehlende Schadensbegrenzungsstrategien und mangelnde Einsichtsfähigkeit Angelegenheiten noch stärker ins Licht der Öffentlichkeit gelangen, als es ohne diese Verhaltensweisen der Fall wäre. Denn es gibt letztendlich ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder es gibt tatsächlich ein logisches Argument dafür, dass Dominik nicht in dem Studio trainieren sollte, oder es gibt keines. Doch die Aussagen des Geschäftsführers ergeben keinen Sinn. "Tut uns leid, aber durch unsere schweren Türen, fehlende behindertengerechte Toiletten usw. sind die Studios einfach ungeeignet für Rollstuhlfahrer. Darauf hätten wir freundlich hnweisen sollen und wir entschuldigen uns bei Dominik." Das wäre eine Version gewesen. "Tut uns leid, die Mitarbeiter haben da falsch reagiert, das ist uns alles sehr peinlich, wir laden Dominik zu einem kostenlosen Training ein und hoffen, dass er unsere Entschuldigung annimmt, ein solches Verhalten gegenüber einem Rollstuhlfahrer ist nicht hinzunehmen, die betreffenden Mitarbeiter sind auf ihr Fehlverhalten hingewiesen worden und möchten sich auch noch persönlich bei Dominik entschuldigen", wäre die andere.

Doch zum einen auszusagen, dass die Studios nicht auf Behinderte eingerichtet sind, zum anderen aber dann pseudogroßmütig anzukündigen, dass Dominik, sollte er dem Geschäftsführer als Mensch zusagen und bereit sein, sich hinreichend devot zu benehmen, natürlich dort trainieren könne, ergibt schlichtweg keinen Sinn. Die Aussagen des Geschäftsführers sind widersprüchlich und zeigen in Bezug auf Diskriminierung auch wenig Einfühlungsvermögen, wenn das Hausrecht ohne Hinweis auf das Antidiskriminierungsgesetz als grundsätzliches Recht ohne Ausnahmen angesehen wird. Zumal der Geschäftsführer ausdrücklich noch angibt, dass er auch bei Behinderten das Recht habe, pauschal zu entscheiden, wer hineinkommt und wer nicht.

Hier zeigt sich letztendlich, wie alltägliche Diskriminierung für Körperbehinderte aussieht und mit welcher Arroganz und fehlendem Einsichtsvermögen sie konfrontiert werden.