Behinderte Menschen benötigen eben weniger Geld (glauben wir mal so)

Außer Kontrolle

Die Koalition und die SPD haben sich bei den neuen Regelsätzen (ALG II) geeinigt, doch wie zu lesen ist, hat man gerade bei behinderten Menschen alles so wachsweich formuliert, dass sich jeder alles so zurechtbiegt wie er will.

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Das Bundesverfassungsgericht hat der Regierung mit seinem Urteil zu den ALG II-Regelsätzen insbesondere auferlegt, nicht mehr ins Blaue hinein zu schätzen, sondern eine transparente und nachvollziehbare Berechnung vorzulegen. Dass dies, dezent ausgedrückt, nur unzureichend getan wurde, wurde schon oft genug thematisiert. Interessant ist jedoch, wie die Regierung bei den Regelsätzen für Menschen mit Behinderungen vorging. Zunächst sollten behinderte Menschen über 25, die noch bei den Eltern wohnen, lediglich 80% des Regelsatzes erhalten, begründet wurde dies vage mit Synergieeffekten bei Einkauf etc sowie der Tatsache, dass es ja Mehrbedarfsregelungen gäbe. Einfach ausgedrückt würde dies bedeuten, dass ein 26jähriger Mensch mit Behinderung, der mit den Eltern im gemeinsamen Haushalt lebt (was immerhin um einiges günstiger als ein Heim wäre, von den positiven Effekten in Bezug auf die familiäre Unterstützung ganz zu schweigen), mit viel Glück einen Mehrbedarf erhält, der ihm ggf. dann den vollen Regelsatz beschert. Wird der Mehrbedarf abgelehnt, so erhält er weniger als das, was das BVerfG als das soziokulturelle Existenzminimum definiert hat. Wie üblich hatte die Bundesregierung hier keine wirklich nachvollziehbaren Zahlen vorgelegt, sondern die Synergieeffekte angenommen, die sie bei nichtbehinderten Menschen dagegen nicht annahm.

Dass die Meldung "Kürzung für behinderte ALG II-Empfänger vom Tisch" insofern vielerorts zu Zufriedenheit und erleichtertem Aufatmen führte, ist insofern nachvollziehbar. Wie auf der Seite der Ministerin des Bundes Silvia Schmidt nachlesbar ist, führt diese Meldung jedoch in die Irre. Denn zwar hatten sich SPD und Koalition auf eine Regelung geeinigt, doch die beiden Verhandlungspartner hatten sehr verschiedene Ansichten, was sich hinter der wachsweichen Formulierung "‚Der Regelsatz für die Regelbedarfsstufe 3 wird mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr den vollen Regelsatz zu ermöglichen, überprüft" verbarg. Die Koalition ist der Meinung, es ginge zunächst mal um die Ermittlung des Bedarfes von Behinderten, der eben bisher noch nicht präzise ermittelt wurde. Zum anderen ist diese Ermittlung nicht terminlich festgelegt worden, so dass von Seiten des BMAS beabsichtigt wird, dies mit der neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe im Jahr 2013 zu verbinden, deren Ergebnisse sich dann in neuen Regelsätzen zum 01.01.2016 wiederfinden. (http://www.silviaschmidt.de/2011/02/23/silvia-schmidt-mdb-die-koalition-ist-unberechenbar/)

DIe SPD hat sich hier auf eine derart vage Formulierung eingelassen, dass sie letztendlich nur das tun kann, was Frau Schmidt hier konstatiert: "kritisch begleiten". Für die betroffenen Menschen mit Behinderungen bedeutet das nur, dass es zwar weitere Lippenbekenntnisse und geschickt formulierte Proteste geben wird, der monatliche Betrag, den sie erhalten, bleibt jedoch unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums.