Angst vor Rache und kein Vertrauen in den Verfassungsschutz

Eine Aussteigerin wehrt sich gegen das Urteil eines Familiengerichts, das dem Vater mit engen Verbindungen zu Neonazis das Umgangsrecht für seine Kinder zugesprochen hat

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Für die Kinder ist es grundsätzlich besser, wenn die Kinder mit beiden Eltern Umgang haben. Dieses Prinzip schlägt sich in Gesetzen nieder und zuletzt wurde es bei der Neufassung des weiter reichenden Sorgerechts noch einmal in die öffentliche Diskussion gebracht ( "Auch gegen den Willen der Mütter") - mit der Einschränkung: "wenn das Kindeswohl dem nicht entgegensteht" (Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger).

In unterschiedlichen Medien wurde in den vergangenen Tagen nun ein Fall vorgestellt, bei dem es "nur" um das Umgangsrecht geht - allerdings stellt er in besonderer Drastik die Frage nach der Abwägung von Kindeswohl und Rechte des Vaters und letzlich, wie die Mutter äußert, geht es auch um die Sicherheit der Familie. Der Familiensenat beim Oberlandesgericht Dresden sieht das anders. Die drei Richter erkannten keine "belastbaren Bedenken" gegen einen Umgang des Vaters mit seinen drei minderjährigen Söhnen. Das Besondere des Falls: die Mutter ist eine bekannte Aussteigerin aus der Neonazi-Szene, der Vater nach Information von Medien "bis heute ein überzeugter Neonazi", ebenfalls eine bekannte Figur in der Szene.

Die Mutter strebt mit ihrem Anwalt nun eine Verfassungsklage gegen das Urteil des Dresdner Gerichts an. Sie befürchtet, dass der Vater das ihm erteilte Umgangsrecht dazu nützen würde, die Kinder zu indoktrinieren. Zum anderen wirft sie ihrem geschiedenen Mann vor, dass er in der Vergangenheit auch gewalttätig zumindest gegenüber einem ihrer Kinder war. Ihre Angst vor Gewalt und unangenehmen, bedrohenden Situationen infolge des Urteils begründet sie darüberhinaus damit, dass sie als Aussteigerin in der Szene als Verräterin gilt und Racheakte zu befürchten habe. Umso mehr, als ihr bisher geheimgehaltener Aufenthaltsort durch die Wahrnehmung des Umgangsrechts des Vaters nach ihrer Einschätzung bald bekannt würde.

"Weltfremdes Gericht"

Zwar dürften die Kinder ihrem Vater "nicht einmal verraten, wie ihr neuer Name laute", wie sie berichtet. Doch wurde sie bereits einmal aufgespürt und habe jetzt Bedenken, dass dies wieder passiert.

Das Gericht sei in diesem Punkt weltfremd, wenn es "keine belastbaren Bedenken" erkennen will. Laut einem Bericht der Berliner Zeitung, derem Verlag angeblich der Gerichtsbeschluss vorliegt, darf der Vater nach sieben Jahren zum ersten Mal seine Kinder Anfang Oktober wiedersehen. Danach gibt es bis zum Juli nächsten Jahres monatliche Treffen – immer im Beisein einer amtlichen Fachkraft (Umgangspfleger). Später soll der Vater seine Kinder auch ohne den Umgangspfleger sehen dürfen. "Spätestens dann kann er herausbekommen, wo er und seine Freunde uns finden können", so die Furcht der Mutter.

Laut Gerichtsbeschluss, aus dem die Welt am Sonntag zitiert, erkennt der Familiensenat des Dresdner Gerichts eine solche Gefährdung nicht: "Der Senat kann nicht feststellen, dass bei einem Umgang der Kinder mit ihrem Vater zu befürchten wäre, dass seine Kinder oder die Mutter der Kinder Angriffen aus der rechtsradikalen Szene ausgesetzt wären, die eine Gefährdung des Wohls der Kinder oder auch der Antragstellerin bedeuten würden."

Die Richter stützen sich dabei auf eingeholte Auskünfte der Polizei und Verfassungsschutzbehörden, die eine "konkrete Gefährung nicht erkennen lassen" - allerdings glaubt die Aussteigerin nicht an die Verlässlichkeit des Verfassungsschutzes bei der Einschätzung der Gefahrenlage. Sie habe jahrelang mit den Behörden vom Staatsschutz zusammengearbeitet und kenne fast jedes Landesamt. Ihrer Erfahrung nach sei "der Verfassungsschutz sehr schlecht informiert" ist und die Zusammenarbeit der einzelnen Behörden sei "eine Katastrophe". Eine Beobachtung, die auch im Fall der Zwickauer Nazizelle häufig gemacht wurde.

"Eltern-Kind-Entfremdung"

Nach Angaben der Welt am Sonntag begründete das Dresdner Gericht das Umgangsrecht des Vaters unter anderem mit einem Gutachten, dass bei der Mutter das das "Parental Alienation Syndrome" vermutete. Im Deutschen wird dies Eltern-Kind-Entfremdung genannt und kommt bei Sorgerechtsstreitigkeiten häufiger auf den Verhandlungstisch. So informiert das Ärzteblatt:

"Nicht nur Rechtsanwälte, Richter, Sachverständige und Mitarbeiter von Jugendämtern werden in die oft unerbittlich geführten Auseinandersetzungen einbezogen, sondern auch Psychotherapeuten, (Kinder-)Ärzte und Kinderpsychiater: Meist wünscht ein Elternteil Atteste und Bescheinigungen darüber, dass Verhaltensauffälligkeiten oder funktionelle Symptome (Einnässen, oppositionelles Verhalten, Depressionen, Schlafstörungen und anderes) eines Kindes auf negative Einwirkungen des anderen Elternteils zurückzuführen seien und/oder der Kontakt abgebrochen werden sollte."