Massenpanik bei den polnischen Karpfen

Polnische Vorweihnacht und die Karpfenfrage

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Das Becken mit Karpfen war so überfüllt, dass es zu einer Massenpanik unter den Tieren kam. Die Szene vor einem Verbrauchermarkt in Posen (Poznan) war auch dem einflussreichen Nachrichtenportal der Gazeta Wyborcza die Hauptschlagzeile wert. Schließlich ist der 20. Dezember der Tag des Fisches.

Tierschützer von der Organisation Empatia haben ihn ausgerufen und sprachen gestern in den größeren Städten den Weihnachtseinkäufern vor Supermärkten ins Gewissen und auf die Nervenbahnen von Cyprinus carpio an. Sie appellieren für vegetarische Kost an "Wigilia”, wie Heiligabend in Polen genannt wird. Wenigstens soll der Fisch nicht lebend gekauft werden.

Der Karpfen gilt als die Verkörperung der polnischen Weihnachtstradition. Neunzig Prozent des jährlichen Verkaufs werden an Heiligabend verspeist, er ist das Hauptgericht am 24. Dezember. Der Tag gehört noch zur Fastenzeit, darum darf kein Fleisch verzehrt werden. Traditionsfeste Familien bereiten dann soviel Speisen vor, wie es Apostel gibt. Verkauft wird das Tier zumeist lebend - auf dem Land aus Zubern, in der Stadt aus riesigen Becken, die in Bierzelten vor den Verbrauchermärkten stehen.

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Bild: 3268zauber/CC-BY-SA-3.0

Seine letzten Runden dreht der Karpfen dann in der familiären Badewanne, bis sein Dasein mittels Salz auf die Kiemen ein Ende findet.

Der Karpfen in Polen ist ein Wirtschaftsfaktor. Rund 14,5 tausend Tonnen werden in Polen jährlich verzehrt, der Markt für den Teichfisch ist dort knapp 40 Millionen Euro schwer.

Wenn auch in den polnischen Geschäften Rentiere und Santas längste Einzug gehalten haben, Christmas-Gedudel die "Koledy" (polnische Weihnachtslieder) verdrängt hat, am Karpfen wird, bei leichter Rückläufigkeit, generell festgehalten

Letztes Jahr setzte sich sogar Generalstaatsanwalt Andrzej Seremet gegen das Nachhausetragen der Fische in einer Plastiktüte ein und drohte mit Freiheitsstrafen. Ein Discounter warb mit dem Slogan "Mach die Badewanne frei" für den bereits vorgetöteten Fisch. Damit machten sich wohl beide nicht beliebt. Die "Gesellschaft für Karpfen-Promotion” klagte direkt nach Weihnachten wegen "Amtsmissbrauch” gegen Seremet.

Sowohl Oberjurist wie Tiefpreis-Discounter äußern sich diesen Advent darum nicht mehr zum Karpfen-Wohl oder -Unwohl.

Nach dem polnischem Tierschutzgesetz gelten für den Fisch weiterhin keine Schutzbestimmungen wie bei klassischen Haustieren. Das Boulevardblatt Super Express sieht die gute Tradition jedoch durch Billigkonkurrenz aus dem südlichen Nachbarland gefärdet.

"Obwohl tschechische Karpfen auf den ersten Blick gut aussehen, werden sie mit einem künstlichen Granulat gefüttert, sie sind 'gedopt', was zu einem unangenehmen Geschmack führt", warnt dort Edward Lagowski, der seit 1975 eine große Karpfenfarm in Ostpolen leitet. Vielleicht keine Ausgangslage für eine ausgewogene Einschätzung, doch Traditionsliebe ist mit Objektivität kaum bei zukommen. Polnische Karpfen hingegen würden weiterhin mit gesundem polnischen Getreide versorgt, so der polnische Unternehmer. Dagegen werden die Tierschützer von Empatia lange anschwimmen müssen.