"Autonomiemodell im zerfallenden spanischen Staat ist tot"

Die baskische Linke erhält nach den Verbotsjahren mit einer neuen Partei wieder einen politischen Ausdruck, um die Unabhängigkeit voranzutreiben

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Die baskische Linkspartei Batasuna (Einheit) wurde 2003 in Spanien verboten, weil sie angeblich Teil der Untergrundorganisation ETA sei. Sie wurde auch auf die EU-Liste terroristischer Organisationen gesetzt. Das war grotesk, denn Batasuna war in Frankreich weiter legal tätig und nahm noch 2012 an Wahlen teil.

Spanien scheiterte vor dem Verfassungsgericht mit ihrem Versuch, auch Sortu (Aufbauen) zu verbieten, nachdem die ETA den Kampf eingestellt hat. Wir sprachen mit Joseba Alvarez, früherer Batasuna-Auslandssprecher, über die Sortu-Gründung und den strategischen Schwenk der linken Unabhängigkeitsbewegung, die sich von der Gewalt und der Koexistenz mit der ETA distanzierte. Sie hat einseitig einen Friedensprozess mit internationaler Vermittlung auf den Weg gebracht.

Telepolis: Am Samstag fand in Iruña (spanisch Pamplona) nach langen Debatten der Gründungskongress von Sortu statt. Welches Ziel wird damit verfolgt?

Alvarez: Nach zehn Verbotsjahren konstituiert sich die linke Unabhängigkeitsbewegung als legale politische Kraft neu. Das Batasuna-Verbot konnte von der spanischen Rechten erst im Rahmen der Terrorhysterie nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York durchgezogen werden. Wir sollten in die Klandestinität gedrängt werden, doch wir haben nie aufgehört, weiter legal zu arbeiten. Wir sind weder verschwunden, noch haben wir uns gespalten, was die Absicht war. Nun gehen wir einen weiteren Schritt vorwärts. Ich muss erinnern, dass praktisch alle Organisationen der linken Unabhängigkeitsbewegung verboten wurden. Vor genau zehn Jahren sogar die einzige Tageszeitung in baskischer Sprache – illegal wie sogar die spanische Justiz festgestellt hat. Es sollte eine gesamte breite Bewegung zerschlagen werden. Das ist gescheitert. Sortu ist ein Sieg, wir schaffen damit nun das Werkzeug, das wir für die politische Arbeit brauchen.

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Joseba Alvarez stellt den Sortu-Mitgliedern und internationalen Beobachtern den Prozess der Gründung vor. Bild: R. Streck

Telepolis: Warum wurde versucht, Sortu zu verbieten?

Alvarez: Die spanische Rechte und Sektoren in der Sozialdemokratie, behaupten weiter, wir seien ETA, Nachfolger von Batasuna, etc. Sie stellen sich gegen jede Lösung des politischen Konflikts, gegen unser Selbstbestimmungsrecht. Wir treten zudem für einen Sozialismus ein und wenden uns gegen ihren neoliberalen Kurs, gegen Sozialabbau, Lohnkürzungen und Bankenrettung. Deshalb wird auch weiter Druck auf uns ausgeübt. So ist der frühere Batasuna-Sprecher Arnaldo Otegi weiter inhaftiert. Gegen die Mitglieder der Batasuna-Führung, auch gegen mich, stehen noch Prozesse an, in denen Haftstrafen zwischen acht und elf Jahren gefordert werden, weil wir angeblich sogar ETA-Führungsmitglieder sein sollen.

Wir treten weiter für ein vereintes, sozialistisches und unabhängiges Baskenland ein

Telepolis: Zuvor wurden sogar spanische Formationen verboten, weil eine Verbindung zu Batasuna bestanden haben soll, doch hinter Sortu stehen ganz offen frühere Batasuna-Führungsmitglieder wie Sie.

Alvarez: Es gibt durch die Neubestimmung keine strategische Nachfolge. In einer langen Diskussion haben wir in den letzten drei Jahren festgelegt, dass unsere Ziele nur mit demokratischen Mitteln erreicht werden könnten. Dieser Strategiewechsel führte dazu, dass die ETA vor gut einem Jahr erklärte, den bewaffneten Kampf zu beenden. Sie kann nun nicht mehr als Ausrede dienen, um politische Vorstellungen zu kriminalisieren. In den Zielen und in bei Personen gibt es Kontinuitäten. Wir treten weiter für ein vereintes, sozialistisches und unabhängiges Baskenland ein. Aber der politische Preis wäre enorm hoch gewesen, uns jetzt zu verbieten.

Telepolis: Warum?

Alvarez: Zunächst hat sich die Welt verändert. George Bush, der für die Anti-Terror-Hysterie stand, ist weg. Auch sein Staathalter in Spanien José María Aznar wurde 2004 abgewählt. Zwar regiert erneut dessen Volkspartei (PP), aber wir haben einseitig einen Friedensprozess gestartet, der international große Anerkennung findet. Es war viel Arbeit, den früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan und diverse Friedensnobelpreisträger Ende 2011 zur Friedenskonferenz ins Baskenland zu bringen und als Vermittler zu gewinnen. Von der Vermittlergruppe unter dem südafrikanischen Anwalt Brian Currin wurde inzwischen eine Prüfungskommission gegründet, welche die Waffenruhe und Inaktivität der ETA überwacht. Ihr steht Ram Manikkalingam aus Sri Lanka vor.

Telepolis: Was hat sich im Baskenland oder in Spanien geändert?

Alvarez: Es ist klar, dass das Autonomiemodell tot ist. Das sehen immer mehr Menschen in dem zerfallenden spanischen Staat. In Katalonien hat eine breite Bewegung sogar die Konservativen dazu gebracht, sich der Forderung nach Unabhängigkeit anzuschließen. Die wollen das, anders als wir vorschlagen, sogar direkt ohne Zwischenstufe erreichen und 2014 darüber abstimmen. Auch hier hat die Staatskrise, die Wirtschaftskrise, die Korruption bis in höchste Ämter dazu geführt, dass Bündnisse mit Sozialdemokraten (EA) oder Teilen der Vereinten Linken (IU) möglich wurden. Mit Bildu (Vereinen) sind wir zweitstärkste Kraft und auf lokaler Ebene stellen wir sogar die meisten Bürgermeister und Stadträte.

Telepolis: Also wurde am Beispiel Katalonien analysiert, dass die ETA die Akkumulation der Kräfte verhindert?

Alvarez: Es war klar, dass der bewaffnete Kampf beendet werden musste, weil darüber viel verhindert wurde. Das wurde in einem langen, schwierigen und tiefgreifenden Prozess in den Organisationen der baskischen Linken und auch in der ETA festgestellt. Deshalb kam es zu einseitigen Veränderungen. Die gab es nicht, weil wir verboten waren, sondern weil in der Debatte festgestellt wurde, dass sie nötig sind, um unsere Ziele zu erreichen. Der Prozess wird von allen getragen. Das zeigt sich auch daran, dass es keine Spaltung gab. Es ging aber nicht nur um das Ende der ETA. Wir hatten uns drei weitere Ziele gesteckt: ein Bündnis der Linken in allen baskischen Regionen, also auch in Navarra und den drei französischen Provinzen aufzubauen, die internationale Vermittlung zu erreichen und schließlich zu Verhandlungen zur Konfliktlösung mit Spanien und Frankreich zu kommen. Nur am letzten Punkt hakt es noch. Die PP weigert sich sogar, mit Vermittlern wie Annan auch nur zu sprechen.

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Parteiführung. Bild: R. Streck

Telepolis: Wie lief der Sortu-Gründungsprozess ab?

Alvarez: Es war viel Arbeit. Tausende haben in den Dörfern und Stadtteilen in langen Sitzungen über unzählige Vorschläge und Einwendungen debattiert und die Führung gewählt. Die Ergebnisse werden am Samstag verkündet. An dieser Form, an der Basis zu arbeiten und zu entscheiden, werden wir festhalten.

Telepolis: Wer befindet sich in der Parteiführung?

Alvarez: Für Arnaldo Otegi wurde der Posten des Generalsekretärs reserviert. Wir wollen nicht wie früher Gefangene in die Führung oder ins Parlament wählen. Otegi wurde von so vielen gewählt, dass eine Ausnahme gemacht werden musste. Es wird eine junge 20-köpfige Führung, der Präsident ist der 40-jährige Hasier Arraiz. Wir brauchen jetzt operative Fähigkeiten, um uns neu zu formieren, in sozialen Bewegungen arbeiten und sie aufbauen, wenn es nötig ist. Der zivile Ungehorsam muss als zentrales Kampfmittel neben der Arbeit in den Institutionen entwickelt werden.