Glückssucht und Hochherzigkeit - eine hoffentlich sachliche Auseinandersetzung mit Joachim Gaucks Rhetorik

Außer Kontrolle

Ein Loblied auf die Künste und die Bundeswehr - Joachim Gauck steckt seine Claims ab.

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Ein "moralisches und politisches Vorbild" soll der Bundespräsident sein, so hieß es während der Debatte um Christian Wulff und seine Verfehlungen. Sein Nachfolger, Joachim Gauck, hat während zwei offiziellen Veranstaltungen nun klar gemacht, in welche Richtung er sich engagieren wird und was ihm wichtig ist.

Da war zum einen das Benefizkonzert in Dresden, das Herr Gauck dazu nutzte, den Wert der Kunst zu preisen. Diese, so Herr Gauck, könne die Menschen hochherzig werden lassen. "Wer hochherzig ist, nimmt auch die anderen in den Blick. Die, die Hilfe brauchen." Obgleich Herr Gauck hier die Möglichkeitsform wählt, zeigt sich doch, welchen Wert er der Kunst bei der Entwicklung des Menschen beimisst. Insbesondere die Musik, wenig verwunderlich in diesem Zusammenhang, hatte es ihm angetan. Diese weite den Blick und die Gefühle des Menschen und lasse sie für einige Zeit von sich selbst absehen, so der Bundespräsident.

Gaucks Ansichten, was die Kunst angeht, wirken dabei überhöht, fast schon glorifizierend, was ihren Einfluss auf den Menschen betrifft. "Kunst kann uns aufwecken", sagte er bereits zur Eröffnung der Documenta, wo er zeitgleich auch den Wert der Philosophie wie auch der Religion für den Menschen ebenso glorifizierend darstellte: "Wir brauchen die Kunst wie die Religion und die Philosophie, um tiefer in die Dinge hineinzukommen und uns selber zu entdecken. Kunst kann uns aufwecken."

Dass Herr Gauck dabei die Religion auf eine Stufe mit der Philosophie stellt, ist kein Zufall. Der Bundespräsident ist Theologe und hat der Religion stets einen hohen Wert beigemessen. Der Staat, so der Bundespräsident während des Deutschen Katholikentages in Mannhein, könne von christlich geprägten Menschen profitieren.Diese Äußerung, sowie auch die fehlende Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern auch die bereits in der Politik engagierten "Christen" dazu beitragen, dass die Religion wieder einen hohen Wert innerhalb der Politik annimmt, brachte den Humanistischen Pressedienst dazu zu fragen, inwiefern denn die bereits überrepräsentierten Politiker, die der christlichen Religion folgen, auch die Konfessionslosen vertreten (wollen). Doch nicht nur dies bleibt als Frage offen, der Pressedienst sezierte in seinem Artikel auch die tatsächlich bereits bestehende Überrepräsentanz der christlichen Religion in Bezug auf seine Rolle in Politik und Gesellschaft und listete Beispiele dafür auf, wie die christliche Kirche politisch Vorteile genießt. Dabei weist sie auch auf die christliche Seelsorge innerhalb der Bundeswehr hin.

"Aus der Vorgabe des Grundgesetzes, dass Gottesdienst und Seelsorge beim Heer 'zuzulassen' sind, wurde eine institutionalisierte Militärseelsorge für die evangelische und die katholische Kirche, mit verbeamteten und staatlich bezahlten Militärpfarrern, für 30 Millionen Euro pro Jahr."

Mutbürger in Uniform

Dise Verquickung von staatsfinanzierter Religion und Armee dürfte dem Bundespräsidenten allerdings keineswegs sauer aufstoßen, denn sowohl die Religion als auch die Bundeswehr sind ihm wichtige Anliegen, wie er jüngst noch einmal betonte. Herrn Gaucks Rhetorik in Bezug auf die Bundeswehr, die "Gefallenen" und den "Patriotismus" hat Konrad Hartmann-Meier bereits hinreichend sarkastisch kommentiert, es lohnt jedoch, die Gesamtrede, die jedoch lediglich das von Gauck geplante Wort enthält (wobei z.B. der Bezug auf die "glückssüchtige Gesellschaft" fehlt) zu betrachten und seine Einschätzung der Bundeswehr und deren Einsätze mit seiner Einschätzung der Religion zu vergleichen.

Alles ganz anders als früher - wie schön!

Während Joachim Gauck in den ersten beiden Absätzen zunächst auf seine eigenen Erfahrungen mit der "Volksarmee" eingeht, schlägt er im dritten Absatz den Bogen zur Bundeswehr, die er seit 22 Jahren auch als "seine Armee" betrachten kann. Während die frühere Zeit mit der NVA lediglich Ablehnung des Zivildienstes, Hass, die Absicherung einer "unmenschlichen Grenze" bedeutete, so sei die heutige Bundeswehr keine Einschränkung der Freiheit, sondern sie ermögliche diese erst.

Diese Bundeswehr ist keine Begrenzung der Freiheit, sie ist eine Stütze unserer Freiheit. Jetzt ahnen Sie vielleicht, wie wertvoll mir dieser Besuch und die Begegnungen heute sind. Welch ein Glück, dass es gelungen ist, nach all den Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur und nach den Gräueln des Krieges, in diesem Land eine solche Armee zu schaffen: eine Armee des Volkes, im besten, eigentlichen Sinne, kein Staat im Staate, keine Parteienarmee, sondern eine "Parlamentsarmee", an demokratische Werte gebunden, an Grundgesetz und Soldatengesetz; eine Armee unter Befehlsgewalt eines Zivilisten, rekrutiert aus eigenverantwortlichen Bürgern und heute auch Bürgerinnen, die zu kritischen Geistern gebildet werden in Institutionen wie dieser; eine Armee, deren Einsätze unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch unsere Volksvertreter stehen und - wenn auch nicht genügend - öffentlich diskutiert werden.

Hier glorifiziert der Bundespräsident die "Volksvertreter", die im Gegensatz zu früher ja demokratisch gewählt sind, weshalb dann ihre Zustimmung zu den Einsätzen der Bundeswehr auch per se schon als Garant für die Rechtmäßigkeit der Einsätze steht. Auch das Lob der "kritischen Geister" lässt letztendlich auch die negativen Aspekte außen vor, die sich in den letzten Monaten hinsichtlich der Strukturen innerhalb der Bundeswehr in den Medien fanden. Aufnahmerituale, die die Ekelgrenze weit überschreiten, fragwürdige "Späße" wie das Urinieren in Weinflaschen, die dann ahnungslosen Rekruten gereicht werden, simulierte Erschießungen als "Geiselnahmeübungen" oder markige Posen mit Totenschädeln - die Liste der Verfehlungen und Schikanen, die auf einen starken Gruppenzwang schließen lassen, ist lang.

Auf der einen Seite, wie auch Truppenpsychologen sagen, stehen die oftmals selbst schon Peinigungen ausgesetzt gewesenen Peiniger, die nun auf der "starken Seite" stehen, auf der anderen die, die befürchten müssen, dass sie bei der Weigerung, an den "Ritualen" mitzumachen, als Versager oder Verräter gebrandmarkt werden, weshalb sie sich dem Ganzen unterwerfen und letztendlich später von der Opfer- zur Täterseite wechseln. Das Vorhandensein dieser für hierarchische Strukturen typischen Gruppendynamik, die auch Gewalt beinhaltet, lässt oft genug für kritische Geister eben keinen Platz, weshalb die Worte des Bundespräsidenten eher verklärend denn neutral wirken.

Die Bundeswehr - ein Teil des "Demokratiewunders"

Joachim Gaucks Rede ist geprägt von solchen Verklärungen, von einseitigen Sichtweisen hinsichtlich der Bundeswehr, wenn er sagt:

Und so ist für mich die Bundeswehr Teil des "Demokratiewunders", das sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen vollzogen hat - und vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten dann auch im Osten unseres Landes.

In seiner direkten Ansprache an die Soldaten und Soldatinnen führt der Bundespräsident diesen Positivismus fort, indem er das betont, was seiner Meinung nach durch die Bundeswehr erhalten wird.

Liebe Soldatinnen und Soldaten, Sie schützen und verteidigen, was uns am wichtigsten ist, auch über die Grenzen unseres Landes hinaus: Freiheit und Sicherheit, Menschenwürde und das Recht jedes Einzelnen auf Unversehrtheit. Sie handeln im Auftrag einer freiheitlichen Demokratie. Sie sind als "Staatsbürger in Uniform" Teil dieser Gesellschaft, Sie stehen mit Ihrem Dienst für diese Gesellschaft ein.

"Die Bundeswehr auf dem Balkan, am Hindukusch und vor dem Horn von Afrika, im Einsatz gegen Terror und Piraten - wer hätte so etwas vor zwanzig Jahren für möglich gehalten?", heißt es fast schon euphorisch, als sei die Tatsache, dass die Bundeswehr hier aktiv sei, per se schon positiv zu bewerten. Die Distanz der Teile der Bevölkerung zu der Bundeswehr sieht er weniger in einer Ablehnung von Kriegseinsätzen, denn als Zeichen von Desinformation und Ignoranz.

Die Bundeswehr steht zwar mehr denn je unter Beobachtung der Medien. Und doch ist sie im öffentlichen Bewusstsein nicht sehr präsent.

Es liegt wohl zum einen an der unvermeidlichen räumlichen Distanz: [...]Und wer kann sich schon vorstellen, als Zivilist hier im friedlichen Deutschland, wie es sich lebt in Masar-i-Scharif oder in Prizren, welche Entbehrungen diejenigen in Kauf nehmen müssen, die außerhalb der Feldlager ihren Auftrag erfüllen, welchen Belastungen sie tagtäglich ausgesetzt sind?

Zum anderen ist es aber schon auch ein Nicht-wissen-Wollen. Das ist menschlich: Wir wollen nicht behelligt werden mit dem Gedanken, dass es langfristig auch uns betreffen kann, wenn anderswo Staaten zerfallen oder Terror sich ausbreitet, wenn Menschenrechte systematisch missachtet werden. Wir denken nicht gern daran, dass es heute in unserer Mitte wieder Kriegsversehrte gibt. Menschen, die ihren Einsatz für Deutschland mit ihrer körperlichen oder seelischen Gesundheit bezahlt haben. Und dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für die Gesellschaft schwer zu ertragen.

Abgesehen von der gerade natürlich auch ältere Menschen ansprechenden Rhetorik der "Gefallenen", die einhergeht mit einem Wunsch nach Patriotismus und einem Respekt für die Bundeswehr, sprich das Militär per se, ignoriert der Bundespräsident hier die Gründe derer, die sich gegen die Auslandseinsätze aussprachen und -sprechen. Er banalisiert diese Gründe, indem er ihnen keinen Platz gibt, sondern lediglich, quasi als Beobachter, annimmt, dass es darum ginge, vor unschönen Tatsachen die Augen zu verschließen. Versöhnlich teilt er mit, dies sei nur menschlich, ergo verzeihlich, ohne hier auf das einzugehen, was oft genug in Bezug auf Auslandseinsätze geäußert wurde - dass es durchaus auch gute Gründe dafür gibt, sie kritisch zu betrachten.

Und was ist mit China?

Es mag wie ein hehres Ziel aussehen, dass die Bundeswehr, wie Joachim Gauck suggeriert, da tätig wird, wo "Staaten zerfallen, sich Terror ausbreitet und Menschenrechte systematisch missachtet werden", doch die Doppelzüngigkeit Deutschlands hinsichtlich der Menschenrechte und deren Beachtung in nicht nur ausländischen Staaten ist dokumentiert und lässt die berechtigte Frage im Raum stehen, weshalb die Menschenrechte nur in jenen Staaten interessant sind, in denen zeitgleich auch wirtschaftliche Interessen für eine militarische Intervention bestehen.

China, das Land, in dem Opposititionelle noch immer zu langen Haftstrafen wegen "der Untergrabung der Demokratie" verurteilt werden, war beispielsweise, gleichermaßen wie Russland, nie im Fokus der Regierung, wenn es darum ging, sich hier für die Rechte der Menschen im allgemeinen einzusetzen. Die Bundeswehr dorthin zu senden, um eine "Befriedung" durchzuführen, hätte eher Gelächter mit sich gebracht denn eine Diskussion darüber, wieso manche Staaten offensichtlich befriedet werden müssen, andere wiederum nicht.

Doch für solche Überlegungen hat der Bundespräsident keinen Platz gefunden, ebenso wenig dafür, dass die "Befriedung", wie der Krieg euphemistisch oft betitelt wird, auch deshalb auf Ablehnung stieß, weil es für die "Zeit danach" keinerlei Pläne gab. Die von Joachim Gauck so positiv bewerteten Einsätze in Afghanisthan, dem Irak, dem Balkan oder dem Horn von Afrika haben allesamt an der Gesamtsituation wenig verbessert, sondern, z.B. in Afghanisthan, die Situation verschlechtert: Folter in Gefängnissen, verängstigte Frauen, die das Land aus Furcht vor einer erneuten Machtübernahme der Taliban verlassen, inhaftierte Frauen, die wegen "moralischer Verbrechen" im Gefängnis landeten - das sind letztendlich die Resultate einer "Befriedung". Die Lage im Irak stellt sich ähnlich desaströs dar, allein in den ersten Monaten des Jahres 2012 wurden 65 Menschen hingerichtet, die vorangegangenen Prozesse sind geprägt von unterschlagenen Beweisen, fehlenden Verteidigungsmöglichkeiten und einer großen Bandbreite an Straftaten, die die Todesstrafe nach sich ziehen. Beim Einsatz am Horn von Afrika ist kein Ende abzusehen, die Überfälle durch Piraten sind jedoch weiterhin präsent.

Die Abscheu gegen Gewalt ist verständlich. Gewalt, auch militärische Gewalt, wird immer auch ein Übel bleiben. Aber sie kann - solange wir in der Welt leben, in der wir leben - notwendig und sinnvoll sein, um ihrerseits Gewalt zu überwinden. Allerdings müssen wir militärische Einsätze begründen. Wir müssen diskutieren: darüber, ob sie die gewünschten Ziele erreichen oder schlimmstenfalls neue Gewalt erschaffen, und auch darüber, ob wir im Einzelfall die Mittel haben, die für ein sinnvolles Eingreifen nötig sind. All diese Fragen gehören - mit den handelnden Personen - in die Mitte unserer Gesellschaft.

Mit diesem Absatz suggeriert der Bundespräsident, dass diese Fragen bisher nicht debattiert werden. Die Begriffe der "handelnden Personen" und der "Mitte der Gesellschaft" bleiben unkonkret. Doch allein die Annahme, es gäbe derzeit keine Diskussion um die Einsätze, verfehlt die Realität. Die neuen Beschlüsse zum "Antipirateneinsatz" werden nicht nur von den Parteien diskutiert, sondern sind längst auch, genau wie die Einsätze an sich, Thema von mannigfaltigen Diskussionen. Exemplarisch sei hier die Diskussion zu einem TP-Artikel genannt. Die Einsätze im Irak und in Afghanisthan sind seit ihres Beginns in der Diskussion, auch hier wurde wieder nur eine Seite exemplarisch herausgesucht.

Der Bundespräsident verfälscht hier also die Realität, er stellt es so dar als habe sich die Bevölkerung nur deshalb nicht mit der Frage der Auslandseinsätze befasst, weil sie mit der Frage, inwieweit Gewalt gegen Gewalt helfen kann (die auch von Gauck nur spärlich erläutert wird, da sie sämtliche Folgen der Gewalt außer acht lässt und auf die schlichte Argumentation "wenn der Gewalttätige durch Gewalt 'entfernt' wird, ändert sich die Situation automatisch zum Guten" aufsetzt) nicht behelligt werden will, der "Glückssucht" fröhnen und sich mit unangenehmen Tatsachen nicht befassen will. Damit negiert er sämtliche bisherigen Diskussionen und Debatten sowie sämtliche Begründungen für eine Ablehnung der Auslandseinsätze, die auf logischen und sachlichen Überlegungen fußen. Er schiebt sie quasi in die Feigheits- oder zumindest die Emotionalitätsecke ab.

Unsere Bundeswehr hat sich von unseligen militärischen Traditionen gelöst, sie ist fest verankert in einer lebendigen Demokratie. Sie hat unser Zutrauen verdient, nicht nur in Debatten um den "gerechten Krieg" zu bestehen, sondern auch einem "gerechten Frieden" einen Weg zu bahnen, indem sie beiträgt zur Lösung von Konflikten, indem sie friedliche Koexistenz zu schaffen sucht, wo Hass regiert.

Auch hier wird der gesamte Komplex der bisherigen wenig erfolgreichen "Konfliktbekämpfung" durch den "gerechten Krieg" schlichtweg ignoriert.

Die Hingabe...

Andere sind sehr gut darin, ihre Rechte wahrzunehmen oder gegebenenfalls auch vehement einzufordern. Und vergessen dabei allzu gern, dass eine funktionierende Demokratie auch Einsatz erfordert, Aufmerksamkeit, Mut, und manchmal auch das Äußerste, was ein Mensch geben kann: das Leben, das eigene Leben.

Diese Bereitschaft zur Hingabe ist selten geworden in Zeiten, da jeder für sich selbst Verantwortung zu übernehmen hat - und zu viele meinen, damit schon genug Verantwortung zu tragen. Hier, in der Bundeswehr, treffe ich auf Menschen mit der Bereitschaft, sich für etwas einzusetzen - gewissermaßen auf "Mut-Bürger in Uniform"! Man trifft diese Bereitschaft auch an anderen Orten, in vielen sozialen Berufen etwa oder wenn man die Orden verleiht, die ein Bundespräsident verleihen darf.

Der Hinweis auf die Orden, die vom Bundespräsident verliehen werden, entbehrt nicht einer gewissen Komik, schaut man sich an, wer und weshalb welche Orden erhalten hat. So wird das Bundesverdienstkreuz beispielsweise auch für große unternehmerische Leistungen verliehen, was mit der "Hingabe", die der Bundespräsident hier so euphorisch mit der "Gabe des Lebens, des eigenen Lebens" verknüpft, wenig zu tun hat, so man nicht die Hingabe an ein möglichst großes Einkommen als solche versteht.

Die Art und Weise, wie der Bundespräsident das Leben als ultimatives Opfer, als Zeichen der ultimativen Hingabe betont, hat erneut einen religiösen Unterton. Ironischerweise vergisst Joachim Gauck, dass gerade diese Hingabe und die Bereitschaft, "das Leben, das eigene Leben", verbunden mit der von ihm als so wichtig erachteten Religion, zu eben auch jenen Problemen in den von der Bundeswehr mit "befriedeten" Regionen führt, die auch durch die Auslandseinsätze keineswegs verschwunden sind.

Ihr Werbespruch "Wir. Dienen. Deutschland." trifft es auf den Punkt. Er trifft, nicht allein, was das "dienen" betrifft. Er lässt auch einen Patriotismus aufscheinen, der sich - frei nach Johannes Rau - darin zeigt, dass man sein Heimatland liebt, die Heimatländer der anderen darum aber nicht verachtet.

Hier schließt sich der Kreis, den Joachim Gauck mit dem Wort "Gefallene" begonnen hat. Ein Duktus, der gerade während Kriegszeiten gerne gewählt wurde und den auch die Kanzlerin und der ehemalige Verteidigungsminister von Guttenberg nutzten. Obgleich der Nationalismus natürlich vehement negiert wird, wird der "gesunde Patriotismus" hochgehalten, der eben auch das ultimative Opfer mit sich bringt.

Keine Institution hat so umfassend und so früh junge Menschen aus beiden Teilen Deutschlands zusammengebracht. Hier arbeiten Menschen aus dem Osten und Westen Deutschlands, aus Nord und Süd, junge und ältere, solche mit und ohne ausländische Wurzeln. Durch die Tore dieser Führungsakademie laufen täglich Militärangehörige aus rund 60 Nationen.

Gemeinsame Einsätze mit befreundeten Streitkräften und insbesondere auch Ausbildungen wie der "Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst mit internationaler Beteiligung", der heute sein 50. Jubiläum feiert, sind wichtige Motoren der Verständigung zwischen den Völkern. "Gratulation!", darf man da schon sagen. Die Bundeswehr ist - gerade durch solche Lehrgänge und Begegnungen - zu einem Friedensmotor geworden. Sie befördert das große "Wir", ohne das ein dauerhafter Friede nicht möglich ist.

Auch hier wird geradezu euphorisch die Zusammenarbeit diverser Militärs gelobt. Die gemeinsamen Einsätze der diversen Armeen, die letztendlich immer auch Verletzte und Tote mit sich bringen werden als Verständigung zwischen den Völkern bezeichnet, die gefeiert bzw. geehrt werden soll(t)en. Das "große Wir", das ebenso nebulös bleibt wie die "Mitte der Gesellschaft" oder die "handelnden Personen" zuvor, wird durch diese Einsätze gefördert, was angesichts der Situationen im Irak, in Afghanisthan und z.B. auch am Horn von Afrika die Frage offen lässt, wer sich denn außerhalb des "großen Wir" befindet und warum. Die Piraterie am Horn von Afrika beispielsweise lediglich durch den Einsatz von militärischen Kräften in den Griff bekommen zu wollen, zeugt von Naivität bis Ignoranz der dahinter stehenden Probleme, die vom Bürgerkrieg in Somalia bis hin zu der Ausbeutung des einheimischen Fischbestandes durch ausländische Schiffe reichen.

Die Nahrungsunsicherheit ist in Somalia noch bedrohlicher als in Nigeria, weil nicht nur der Fischbestand durch ausländische Schiffe vernichtet wird, sondern auch die Rohstoffe an Land, die für die Zukunftsfähigkeit des somalischen Volkes unerlässlich sind, von Kriegsherren, religiösen Bewegungen und ausländischen Truppen umkämpft sind. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)

Dass einseitige Betrachtungen der Einsätze auch nicht zur Lösung führen, zeigt sich deutlich an der Tatsache, dass die Piraten, die illegal agieren, gerade auch durch ihr Agieren dazu beitragen, dass sich ausländische Schiffe nicht mehr in die Nähe wagen und somit, wenn auch ungewollt, dazu beitragen, dass die somalischen Fischer wieder mehr Nahrung für die somalische Bevölkerung erringen können – und das zu moderaten Preisen.

Wie bildet man Menschen aus, die solch wichtige Aufgaben übernehmen? An dieser Führungsakademie, das habe ich gespürt, wird kein geistiger Gleichschritt gelehrt. Hier werden Persönlichkeiten gebildet und eine Fülle von Fähigkeiten entwickelt: Entscheidungsvermögen und Übersicht in fordernden Gefechtssituationen, aber auch politisches Urteilsvermögen und diplomatisches Fingerspitzengefühl, die Fähigkeit, Widerspruch in Rede und Gegenrede zu begründen, interkulturelle Kompetenz und der Umgang mit Medien. Alles in allem: die hohe Kunst, Verantwortung zu übernehmen.

"Sie stehen nicht nur persönlich vor ihren eigenen Soldaten im Rampenlicht, sondern als Verantwortliche der Bundeswehr mitten in den Fragestellungen unserer ganzen Gesellschaft." - So hat es Richard von Weizsäcker vor 25 Jahren - und bis heute treffend - formuliert. Für diese wichtige Aufgabe wünsche ich Ihnen weiterhin viel Glück, Mut, Selbst- und Gottvertrauen. Ich bin froh, Ihnen heute aus vollem Herzen sagen zu können: Für diese unsere Bundeswehr bin ich sehr dankbar! Das sagt der Bürger Joachim Gauck genauso wie der Bundespräsident.

Mit diesen Worten hat Joachim Gauck seine Rede beendet und damit das fortgeführt, was er schon mit seiner Antrittsrede begonnen hat. Er glorifiziert.

Rückblick: Die Antrittsrede

"Wie also soll es nun aussehen, dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel "Unser Land" sagen sollen? Es soll "unser Land" sein, weil 'unser Land' soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschancen verbindet. Der Weg dazu ist nicht der einer paternalistischen Fürsorgepolitik, sondern ein Sozialstaat, der vorsorgt und ermächtigt." (Aus der Antrittsrede Joachim Gaucks)

Der Bundespräsident bemächtigt sich eines eindringlichen, an religiöse Kanzelansprachen erinnernden Wortschatzes samt der dazugehörigen Rhetorik, die von Wiederholungen, Vereinfachungen und dem „Wir“, dem „uns“, den rhetorischen Praktiken eines Einheitsbeschwörens und des Patriotismus lebt.. Während er anfangs noch erklärt, dass er etwas „erläutern möchte“, geht er dann, wenn es um das, was ihm wichtig ist, zum gerade in der Demagogie umso wichtigeren „Wir“ über, das gleichermaßen aufrüttelnd, verbindend wie auch motivierend wirken kann.

Wir dürfen nicht dulden, dass Kinder ihre Talente nicht entfalten können, weil keine Chancengleichheit existiert. Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen den Eindruck haben, Leistung lohne sich für sie nicht mehr, und der Aufstieg sei ihnen selbst dann verwehrt, wenn sie sich nach Kräften bemühen. Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen den Eindruck haben, sie seien nicht Teil unserer Gesellschaft, weil sie arm, alt oder behindert sind. Freiheit ist eine notwendige Bedingung von Gerechtigkeit
(aus der Antrittsrede Joachim Gaucks)

Und speziell zu den rechtsextremen Verächtern unserer Demokratie sagen wir in aller Deutlichkeit: Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben. (aus der Antrittsrede Joachim Gaucks)

Erneut wirkt Joachim Gauck rückblickend ironisch, wenn er zu Offenheit und Klarheit aufruft, während er selbst sich hinter Worthülsen wie das "große Wir" etc. verschanzt.

Für die politisch Handelnden heißt dies: Redet offen und klar, dann kann verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden.

Nach einem Wort Gandhis kann nur ein Mensch mit Selbstvertrauen Fortschritte machen und Erfolge haben. Dies gilt für einen Menschen wie für ein Land. Ob wir den Kindern und Enkeln dieses Landes Geld und Gut vererben werden, das wissen wir nicht. Aber dass es möglich ist, nicht den Ängsten zu folgen, sondern den Mut zu wählen, das haben wir gezeigt.
Gott und den Menschen sei Dank: Dieses Erbe dürfen sie erwarten." (Aus der Antrittsrede Joachim Gaucks)

Ehrliche Worte oder Demagogie?

Den Worten des Bundespräsidenten mit Sarkasmus zu begegnen, mit Spott oder Hohn ist leicht, doch die Betrachtung sowohl der Antrittsrede als auch der Rede in Bezug auf die Bundeswehr zeigt, dass Joachim Gauck, der in Bezug auf Öffentlichkeit(sarbeit) keineswegs ein Novize ist, hier letztendlich auf die Mittel der Demagogie setzt, so hier der Demagogiebegriff eines Martin Morlock genutzt werden kann.

"Demagogie betreibt, wer bei günstiger Gelegenheit öffentlich für ein politisches Ziel wirbt, indem er der Masse schmeichelt, an ihre Gefühle, Instinkte und Vorurteile appelliert, ferner sich der Hetze und Lüge schuldig macht, Wahres übertrieben oder grob vereinfacht darstellt, die Sache, die er durchsetzen will, für die Sache aller Gutgesinnten ausgibt, und die Art und Weise, wie er sie durchsetzt oder durchzusetzen vorschlägt, als die einzig mögliche hinstellt."

Während die Hetze hier nicht gegeben ist, sind sowohl Lügen bzw. absichtliches Ignorieren von z.B. bereits bestehenden Diskussionen durch die Suggestion, diese Diskussionen müssten erst angestoßen werden, in der Rede des Joachim Gauck ebenso zu finden wie die grobe Vereinfachung von "Wahrem" sowie die Art und Weise, wie die Auslandseinsätze der Bundeswehr als notwendige Mittel zur "Friedenssicherung" dargestellt werden. Joachim Gauck widerspricht damit dem, was er selbst fordert (der Offenheit und Klarheit) und wählt noch dazu einen von seiner Religiösität geprägten Weg um klar Stellung zu beziehen für Auslandseinsätze der Bundeswehr, ohne deren negative Aspekte auch nur einmal zu erwähnen.