Gysi und die Stasi - eine endlose Geschichte

Der Fraktionschef der Linkspartei prophezeit, dass auch das neue Verfahren gegen ihn eingestellt wird

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Die Facebookseite des Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linken, Gregor Gysi wird in den letzten Tagen besonders frequentiert. Denn dem Politiker wurde die Immunität aberkannt, weil die Hamburger Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen uneidlicher Falschaussage gegen ihn eingeleitet hat.

Das konservative Springerblatt Die Welt hatte die Nachricht zuerst gemeldet mit der Eingangsbemerkung: "Exklusive Meldungen darüber, dass Gregor Gysi vielleicht doch entgegen seinen knallharten Dementis ein Zuträger der Stasi gewesen sein könnte, werden gewöhnlich von deutschen Medien nur ungern angepackt."

Der Politiker gibt sich auf Facebook auch bei nach der neuen Anzeige selbstbewusst: "Nach einer Anzeige muss in einem Ermittlungsverfahren der Vorwurf geprüft werden. Das ist schon einmal geschehen. Selbstverständlich wird das Verfahren wie damals eingestellt werden, da ich niemals eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. Deshalb gibt es nicht den geringsten Grund, über die Kandidatur nachzudenken", kommentiert er die neueste Entwicklung.

Tatsächlich ist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach einer Anzeige genau so obligatorisch wie die vorherige Aberkennung der Immunität, soweit es sich um einen Mandatsträger handelt. Im Umfeld der Linken dürften die neuerlichen Ermittlungen dem Spitzenkandidaten Gysi nicht schaden, sondern eher Pluspunkte einbringen. Die Partei wird den als Realo nicht unumstrittenen Politiker verteidigen und sich hinter ihn stellen. Seine Kandidatur durfte also parteiintern unstrittiger sein denn je. Wie die Reaktionen in parteiferneren Kreisen ausfallen, wird auch vom Fortgang der Ermittlungen abhängen.

Investigativteam gegen Gysi

Trotzdem stellen sich auch jetzt schon einige Fragen. Was bewegt das Welt-Investigationsteam mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR der Frage, ob Gysi wissentlich mit der Stasi zusammengearbeitet hat, eine solche Bedeutung zuzumessen? Schließlich ist längst bekannt, dass es eine Zusammenarbeit gab - die Frage ist, ob Gysi damals wusste, dass es sich um die Stasi handelte oder ob er andere Staatsorgane hinter seinen Gesprächspartnern vermutete.

Gysi arbeitete in der DDR als Rechtsanwalt und hatte in dieser Funktion Kontakte zu den damals real existierenden Staatsorganen. Wenn in dem Vorspann in der Welt suggeriert wird, die Medien in Deutschland würden Gysi schonen wollen, dann offenbart sich damit das Weltbild von einer linken Medienmacht, wie es eigentlich sonst nur in Kreisen der alten und neuen Rechten vorhanden ist. Tatsächlich gibt es nur wenige Medien, die das Thema Gysi und die Stasi nicht thematisieren. Und sie bleiben dabei durchaus nicht immer sachlich. So veröffentlichte Der Spiegel in den 1990er Jahren einen Titel zu Gysi, in dem Kritiker ein Spiel mit antisemitischen Codes sehen.

Auffällig ist auch, dass es in Westdeutschland in den ersten zwei Jahrzehnten keine großen Diskussionen über die Kontakte der damaligen Politiker zu den Staatssicherheitsorganen des nationalsozialistischen Regimes gab, das bekanntlich anders als die DDR nicht Akten-, sondern Leichenberge hinterlassen hat. Ein Investigativ-Team der Welt ist dazu nicht bekannt.