Auf dem Weg in die Überwachungsgesellschaft?

Das neue Telepolis-Buch klärt über die digitalen Spuren der Menschen auf und thematisiert die sich daraus ergebenden Veränderungen des Lebens

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Sind wir auf dem Weg in eine Überwachungsgesellschaft? Sowohl die deutsche Regierung als auch die Europäische Union investieren gegenwärtig viel Geld in die Entwicklung neuer Überwachungstechnik. Im Herbst 2009 wurde publik, dass im Rahmen des EU-Sicherheitsforschungsprogramms Überwachungsanlagen entwickelt werden, die alle verfügbaren Informationen über ein städtisches Gebiet sammeln und auswerten, darunter Daten der Verkehrsüberwachung, des öffentlichen Nahverkehrs, aus dem Internet und der Videokameras. Mit dieser Technik namens Indect sollen Sicherheitsbehörden Anschläge verhindern. Um Kriminalität und Terrorismus zu bekämpfen, erhalten Polizei und Nachrichtendienste immer weiter gehende Befugnisse.

Aber Überwachung ist kein Staatsmonopol: Beinahe wöchentlich wird ein neuer Fall bekannt, bei dem personenbezogene Daten weitergegeben, gestohlen oder verkauft, immer aber ohne das Wissen und gegen den Willen der Betroffenen genutzt werden. Unternehmer verlangen beim Vorstellungsgespräch Blutproben. Krankenkassen verkaufen die Daten ihrer Kunden.

Jeder hinterlässt digitale Datenspuren: Das Mobiltelefon sendet ein Signal an den nächsten Funkmast. Beim Einkauf, der mit Kreditkarte bezahlt wird, im Geschäft oder im Internet. Jede SMS erzeugt Daten, deren Verwendung der Erzeuger nicht kontrollieren kann. Die digitalen Spuren folgen jedem wie ein Schatten, der nachträglich überprüft, analysiert und bewertet werden kann. Das jetzt erschienene Telepolis-Buch "Datenschatten - Auf dem Weg in die Überwachungsgesellschaft?" zeigt, wie sich die sozialen Beziehungen und Machtverhältnisse angesichts digitaler Daten und Überwachungsmethoden verändern.

Datenspuren sind allgegenwärtig: Überwachungskameras, die Supermärkte und dabei Mitarbeiter und Kunden "scannen", der eifersüchtige Facebook-Nutzer, der sich über die neuen Online-"Freunde" seiner Ex-Partnerin ärgert, durch Überwachungssysteme kontrollierte Arbeitnehmer, etwa in Call-Centern. Datenschatten entstehen auch mit elektronischen Patientenakten, die der Überwachung der Patienten, aber auch der Ärzte dienen können, und in der polizeilichen Ermittlertätigkeit bei Online-Durchsuchungen oder der Vorratsdatenspeicherung. Was zunächst "nur" Daten sind, macht Software zu Informationen und der Mensch, sei es nun der Arbeitgeber, die Polizei, die Krankenkasse oder der eifersüchtige Partner, zu Wissen.

Wie beeinflusst dieser Datenschatten die sozialen Beziehungen? Wie verändert er die Kräfte- und Machtverhältnisse zwischen Staat und Bürger, zwischen Polizei und Bevölkerung, im Büro und in der Fabrik, aber auch zwischen (Ehe-) Partnern sowie zwischen Eltern und Kindern? Das Buch widmet sich diesen unterschiedlichen Beziehungen und untersucht mögliche Gefahren, aber auch überhöhte Befürchtungen und Erwartungen. An vielen Stellen sind Interviews mit Fachleuten wie einem Arbeitsrechtler, einem Datenschützer oder einem Experten für "Geoslavery" und Betroffenen beigefügt.

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Mathias Becker: Datenschatten. Auf dem Weg in die Überwachungsgesellschaft? Telepolis/Heise, Mai 2010, 172 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-936931-65-5, 16,90 Euro (D) / 17,40 Euro (A) / 29,00 sFr

Matthias Becker hat Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie Geschichte in Mannheim und London studiert. Er arbeitet freier Journalist unter anderem für Telepolis, die Frankfurter Rundschau, den Guardian oder den Deutschlandfunk.