Türkei setzt massiv auf Wasserkraft

Gericht stoppt Ilisu-Staudamm, Proteste auch gegen 4.000 Wasserkraftprojekte an der Schwarzmeerküste

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Die Türkei war in den letzten Jahren die nach China am stärksten wachsende Volkswirtschaft der G20-Staaten (Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer). Entsprechend wächst auch der Strombedarf immer weiter. Lag der Stromverbrauch im Land 2005 noch bei durchschnittlich 2.120 kWh pro Person und Jahr, wird damit gerechnet, dass der Verbrauch sich bis 2020 auf 5.200 kWh mehr als verdoppeln wird (zum Vergleich Deutschland: 7.500 kWh pro Person). Doch das Land setzt bisher wenig auf Sonnen- und Windkraft. Statt dessen wird Strom fast ausschließlich mit Gas und Braunkohle gewonnen. Und die Regierung setzt massiv auf den Ausbau der Wasserkraft, dabei hat das Land dafür nur im Norden relativ günstige Bedingungen.

In der Schwarzmeerregion an der Grenze zu Georgien sollen 4.000 Sperrwerke das Wasser der Bäche sammeln und durch Röhren zu größeren Talsperren leiten. Diese Grenzregion an der Grenze zu Georgien ist bisher noch relativ naturbelassen und ihre Bewohner möchten dieses Pfand lieber für den Tourismus nutzen, anstatt ihre Region durch ein Gewirr von Stauseen, Rohrleitungen und Hochspannungsleitungen verschandeln zu lassen. Eine Versteigerung von Staatsanleihen lief gut, doch die wirtschaftlichen Aussichten wurden schlechteron der Stromgewinnung würden vor allem entfernte Ballungsräume profitieren. Außerdem wird geschätzt, dass 18 Prozent des Stroms in der Türkei durch das marode Leitungsnetz verloren gehen, dessen Modernisierung sollte also Vorrang haben.

Im Süden des Landes hat der oberste Gerichtshof der Türkei jetzt für den umstrittenen Ilisu-Staudamm einen sofortigen Baustopp angeordnet. Die 1.820 Meter breite und 135 Meter hohe Staumauer sollte den Tigris kurz vor der türkisch-irakischen Grenze zu einem 313 Quadratkilometer großen künstlichen See aufstauen. 60.000 bis 70.000 Einwohner der kurdischen Region hätten umgesiedelt werden müssen. Auch sonst geht es bei dem Projekt viel um politische Macht und die Verfügung über das wertvolle Wasser des Tigris, der danach weiter durch Syrien und den Irak fließt - wenn diesen Ländern nicht der Hahn zugedreht wird.

Geklagt hatte in diesem Fall die türkische Architekten- und Ingenieurskammer (TMMOB) - u.a., weil der Stausee die antike Stadtfestung Hasankeyf, die in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen werden soll, geflutet hätte. Ob das Urteil des Obersten Gerichtshofs Bestand haben wird, ist zweifelhaft, schon nach den zunächst erfolgreichen Protesten von 2002 hatte die Regierung 2007 die Bauarbeiten wieder aufnehmen lassen. Und der Ilisu-Damm ist auch nur einer von insgesamt 22 geplanten Staudämmen und 19 Wasserkraftwerken des Südostanatolien-Projekt (GAP, Güneydoğu Anadolu Projesi) entlang der Flüsse Euphrat und Tigris.