Videoüberwachung – sorgloses Agieren auch beim LKA Thüringen

Außer Kontrolle

Beim Thema Videoüberwachung wird gerne einmal der Aspekt der Privatsphäre sowie der rechtlichen Vorgaben außer Acht gelassen. Kamera installieren und los geht es. So dachte man wohl auch beim LKA Thüringen.

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Wie stark der Glaube an das Allheilmittel Videoüberwachung ist, zeigte sich in den letzten Wochen z.B. am Fall der sogenannten "Kofferbombe in Bonn".

Pauschallösungen

Die Situation in Deutschland erinnert an die Situation 2006 als sich sogenannte "Kofferbomben", also Bomben bzw. zündbares Material, das in Taschen oder Koffern versteckt ist, in Köln fanden. Auch 2006 lautete die Antwort auf die Frage, wie sich solche Taten verhindern lassen bzw. die "Sicherheit erhöhen ließe": Mehr Videoüberwachung. Um diese Idee auch in die Tat umzusetzen und mehr Kameras als auch erhöhte Speicherfristen möglich zu machen, nutzte die Große Koalition in 2007 einen Art Überrumpelungstaktik. Sie schmuggelte die Verlängerung der Speicherfristen in ein Fax, das letztendlich nur Informationen zur bevorstehenden Abstimmung bezüglich der Fluggastdatenspeicherung enthalten sollte. Dieses Fax wurde dann am Vorabend der Abstimmung noch an alle gesandt, weshalb die Opposition, sehr zur Freude von beispielsweise Dieter Wiefelspütz , denn auch den Passus übersah und insofern die Verlängerung mit ermöglichte.

"Es wäre besser gewesen, man hätte das öffentlich diskutiert, und das hätten wir es öffentlich gemacht und dazu auch gestanden, und meinethalben auch morgens um elf Uhr im Parlament das Ganze verabschiedet. So werden wir jetzt diskutieren müssen, warum das eben halt spät nachts passiert ist, und warum die Opposition nicht aufgepasst hat und, und, und. Ich hab doch überhaupt kein Problem damit. Das, was ich für sachgerecht und für notwendig halte im Interesse der Sicherheit unserer Bürger, auch offen zu diskutieren, das gebietet doch die Klugheit, dass man das rechtzeitig tut. Denn wenn man im Nachhinein dann versucht, das noch mal zu erklären, hat man doch eher schlechtere Karten." (Dieter Wiefelspütz)

Die auf diese Weise verabschiedete Gesetzesänderung war keineswegs eine Marginalie, vielmehr wurde die Speicherfrist auf erhebliche Weise ausgedehnt. Die Bundespolizei, die bisher die Videoüberwachungsbilder lediglich zwei Tage lang speichern durfte, durfte sich über eine 1500%ige Erhöhung der Speicherfrist freuen – immerhin 30 Tage lang können seit diesem Zeitpunkt die Videoaufnahmen aufbewahrt werden. 2006 waren es insbesondere auch nachrichtendienstliche Erkenntnisse, die letztendlich zur Aufklärung des Falles führten, wobei dies, wie auch das gefällte Urteil gegen die beiden Attentäter Grund zum Nachdenken und Nachhaken hätte geben müssen, was jedoch unterblieb.

Der Fall in Bonn hat ähnliche Reaktionen bei den Sicherheitsbehörden ausgelöst: Wieder wird der Ruf nach mehr Videoüberwachung laut, obgleich bereits Kameras den Bahnhof mit ihren elektronischen Augen beobachten und die fehlenden Aufnahmen eher dadurch zustande kamen, dass sich in Bezug auf die Kosten, die durch Videoüberwachung entstehen, keine Einigung zwischen den Bahnhofsbetreibern und der Bundespolizei hatte erzielen lassen.

Kostenfragen

Die im Bonner Bahnhof aufgefundene Tasche enthielt, so hieß es zunächst, "zündbares Material", doch war die Bombe nicht funktionstüchtig. Auch hier erinnerte der Fund an eben jenen Fund von 2006, der ebenfalls nicht explosionsfähige Bomben zutage brachte. Was auf der einen Seite mit "Glück gehabt" kommentiert werden kann und sollte, kann andererseits jedoch auch zu Überlegungen führen, wie groß die Gefahr tatsächlich ist, wenn zwar "zündbares Material" aufgefunden wird, die Bomben jedoch letztendlich sowieso nicht explodieren können da entweder die technischen oder chemischen Bestandteile nicht ausreichen oder, wie z.B. bei den sogenannten "Sauerlandbombern" durch entsprechend harmloses Material ausgetauscht worden sind. Auch stellt sich stets die Frage nach der Rolle der Geheimdienste, auch in Bezug auf die Zugänglichmachung von Bestandteilen und/oder finanziellen Mitteln.Interessant ist hierbei, dass fast einen Monat nach dem Bombenfund verlautbart wurde, die Bombe hätte doch keinen Zünder gehabt.. Bisher hatte es stets geheißen, die Bombe wäre durch einen Baufehler nicht explodiert, sei jedoch ansonsten voll ausgestattet gewesen.

Unabhängig hiervon ist jedoch zum einen durch Videoaufnahmen der im Bahnhof ansässigen Filiale einer Schnellrestaurantkette verwertbares Material gefunden worden. Die Frage, inwiefern sich hier zeigt, wie private und öffentliche Videoüberwachung gerade auch auf öffentlichen Plätze, überhand genommen hat, wie die beiden Überwachungsformen ineinanderfließen und so die Privatsphäre, die es auch in der Öffentlichkeit gibt, schwindet, wird bisher nicht gestellt. Dafür aber wird moniert, dass es zu wenig Kameras auf dem Bahnhof gebe und ferner auch Bundespolizei und Bahnhofsbetreiber nicht in der Lage gewesen sind, sich bezüglich der Kosten der Videoüberwachung zu einigen. Zwar wolle man, heißt es beruhigend, keineswegs eine vollflächige Überwachung im Bahnhof, doch der Kofferbombenfund zeige, dass mehr Kameras benötigt werden. Wie aber ohne eben die vollflächige Überwachung verhindert werden soll, dass es auch "überwachungsfreie Ecken" gibt, in denen Gegenstände abgestellt werden können (von der Frage, wie z.B. Bahnhöfe ohne Gepäckaufbewahrung und Schließfächer auch für Reisende Komfort bedeuten können, einmal abesehen), wird nicht weiter erläutert. Ebenso wenig wird erläutert, inwiefern eine Tat überhaupt verhindert werden soll, indem Kameras aufgestellt werden. Einfach ausgedrückt, nutzt auch die vollflächige Videoüberwachung nichts, wenn nicht auch genügend Personal zur Überwachung der Überwachung vorhanden ist, was letztendlich dann auch anders eingesetzt werden könnte. Zwar können die Bilder der Kameras im Nachhinein ggf. zur Aufklärung beitragen, dies ist jedoch auch alles, was sich durch sie erzielen lässt. Doch die Debatte konzentrierte sich eher darauf, dass dank ungeklärter Kostenfragen Bahnhofsbetreiber und Strafverfolger sich nicht einig geworden waren, wer nun für die Erhebung sowie Speicherung von Videoüberwachungsdaten zuständig sei.

Umfragen brachten denn auch schnell das Ergebnis, dass mehrheitlich für mehr Videoüberwachung votiert wurde. Hier stellt sich die Frage, inwiefern diejenigen, die (noch) mehr Videoüberwachung fordern oder sich wünschen, sich überhaupt mit der Frage, wie sich dies auf Privatsphäre auswirkt, inwiefern Zivilcourage dadurch z.B. nicht auch eingedämmt wird oder inwiefern eine Videoüberwachung, sofern sie nicht allumfassend ist, in solchen Fällen helfen soll, auseinandergesetzt haben.

Kamera läuft...

Beim Thema Videoüberwachung herrscht im allgemeinen eine Sorglosigkeit, die sich schon bei der Überwachung im Privaten zeigt. Da laufen Bärenkameras im Kinderzimmer, da wird mit dem Eingang zur Garage auch gleich der gesamte Gehwegbereich mit gefilmt, da werden in gemeinsamen Waschräumen und in Treppenhäusern oder vor Müllcontainern Kamera aufgestellt, ohne sich Gedanken um irgendwelche rechtlichen Vorgaben zu machen. Videoüberwachung ist heutzutage ja auch kostengünstig und schnell vorzunehmen, weshalb sich etliche nicht weiter damit befassen, was dabei bedacht werden muss. Kann man dies bei Privatpersonen noch annähernd verstehen, so ist es bei Behörden, insbesondere jenen, die sich mit rechtlichen Vorgaben auskennen müss(t)en, umso schwerer zu akzeptieren, wie lässig hier die Videoüberwachung selbst bei Bagatellfällen eingesetzt wird.

Jüngstes Beispiel hierfür ist das LKA Thüringen, das meinte, im Haus, in dem die Dezernate Organisierte Kriminalität, Wirtschaftskriminalität, Interne Ermittlungen und Staatsschutz untergebracht sind, mittels Videoüberwachung gegen Diebe von Toilettenpapier vorgehen zu müssen. Der erhöhte Verbrauch von Toilettenpapier, gemeldet durch das Reinigungspersonal, brachte die Behörde auf den Plan und so wurden Kameras installiert und Mitarbeiter vom Staatsschutz zur Auswertung der Videoüberwachungsaufnahmen abgestellt. Der Toilettenpapierdieb wurde durch diese Maßnahmen nicht gefasst, stattdessen hat das Ganze nun ein Nachspiel.Die Hausjuristen des LKA haben nämlich festgestellt, dass die Überwachung in dieser Form nicht zulässig war. Inzwischen haben sich die Beamten aber schon ein knappes Jahr damit beschäftigt, auf Videoüberwachungsaufnahmen zu starren um festzustellen wer denn nun Toilettenpapier entwendet.Wobei sie laut den internen Dokumenten, wie der MDR Thüringen mitteilt, nicht nur im Treppenhaus, sondern auch im Toilettenbereich Kameras installierten.

Nun mag man sagen "Diebstahl ist Diebstahl", aber die Frage ist, ob sich die Strafverfolgungsbehörden nicht einmal bewusst waren, inwiefern gerade auch (verdeckte) Videoüberwachung an rechtliche Vorgaben gebunden ist oder ob es den Verantwortlichen schlichtweg egal war. Glaubt man den Medienberichten, so war die Staatsanwaltschaft Erfurt eingebunden, was dann auch die Frage offen lässt, wie man dort verdeckte Videoüberwachung auch in sehr intimen Räumen bei Bagatellkriminalität überhaupt gutheißen bzw. erlauben kann.

Der Vorfall in Thüringen ist ein Beispiel dafür, wie schnell Kameras installiert und Aufnahmen ausgewertet werden, ohne sich Gedanken um den Rest zu machen.