"Unverantwortlich"

Beschneidungsgesetz: Der Präsident des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte sieht das Kindeswohl zurückgestuft; der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime spricht von "einseitigen Überinterpretationen" des Kindeswohls

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Für den Präsidenten des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte, Wolfram Hartmann, bedeutet der Gesetzesentwurf zur Beschneidung von Jungen kein Ende der Debatte. Hartmann wirft den Gesetzgebern vor, dass sie "unverantwortlich" handeln. Der Kinderarzt sieht darin das Kindeswohl zurückgesetzt. Das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit würde darin als "drittrangig" gegenüber Elternrecht und Religionsfreiheit behandelt.

Dem Kindeswohl werde nicht eindeutig entsprochen. Es gehe daraus nicht klar hervor, wann das "Kindeswohl gefährdet wird". Zwar ziele die Formulierung, wonach der Eingriff "nach den Regeln der ärztlichen Kunst" durchgeführt werden soll, auf die Anwendung von Betäubungsmaßnahmen ab, um möglichst Schmerzfreiheit zu erreichen. Dies sei aber nur mit Vollnarkose gewährleistet, so Hartmann. Allerdings stelle diese bei einem Neugeborenen oder Säugling ein Risiko dar. "Wir können nur einer Regelung zustimmen, bei der ein religionsmündiger Jugendlicher ab dem vollendeten 14. Lebensjahr selbst den Willen äußert, aus religiösen Gründen beschnitten zu werden."

Demgegenüber ließ der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, verstehen, dass seiner Auffassung nach "einseitige Überinterpretationen" des Kindeswohls die Debatte falsch gewichten. Man müsse man sich "vor einer ideologischen Instrumentalisierung hüten", wird er von der Welt zitiert. Anscheinend will er davon nichts mehr hören, stattdessen interessiert es ihn nun, "wie und mit welchen Standards die Beschneidung konkret durchgeführt werden soll".

Auch die Vorsitzende des Ethikrates, Christiane Woopen, will sich jetzt den Standards zuwenden. Sie schlägt vor, dass sich Mediziner, Kinderpsychologen, Vertreter der Religionsgemeinschaften und Elternvertreter zusammensetzen, um festzulegen, wie die "Standards für die medizinische Durchführung des Eingriffs sowie für die Schmerzbehandlung beim Kind je nach Alter" aussehen sollen.

Der Vorsitzender der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann, hatte dem Gesetzesentwurf, soweit seine Eckpunkte zu diesem Zeitpunkt bekannt waren, schon Anfang Oktober als "handwerklich schlecht gemachten Schnellschuss" bezeichnet. Auch für Ehrmann steht außer Frage, dass der Eingriff eine Körperverletzung darstellt - was im Übrigen auch der Position des Berufsverbandes der deutschen Urologen entspricht: "Wenn es keine medizinischen Gründe für den Eingriff gibt, dann handelt es sich eindeutig um Körperverletzung", so Wolfgang Bühmann, Pressesprecher des Berufsverbandes, Ende Juni.