80.000 Euro zu teuer für Bürgerbeteiligung?

Der Ältestenrat des Deutschen Bundestages legt sein Veto gegen das geplante Liquid-Democracy-System Adhocracy ein

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80.000 Euro sind für den Deutschen Bundestag, der in den letzten Jahren innerhalb von Tagen Entscheidungen über Zig-Milliarden-"Rettungsschirme" für Banken und die EU fällte, normalerweise ein Pappenstiel. Eine Summe, wie sie ohne besondere Genehmigung für ein paar Luxusfüller ausgegeben wird. Um so mehr verwundert es, dass diese 80.000 Euro als offizielle Begründung dafür dienen, dass das eigentlich als Bürgerbeteiligungsinstrument zur Internet-Enquette-Kommission geplante geplante Liquid-Democracy-System Adhocracy vom Ältestenrat des Deutschen Bundestages verworfen wurde.

Nach Informationen der Financial Times Deutschland sind die 80.000 Euro nur der vorgeschobene und nicht der wahre Grund für den Stopp des Projekts, denn "hinter vorgehaltener Hand" würden auch Unionspolitiker eingestehen, dass man mit Adhocracy "einen unwillkommenen Präzedenzfall geschaffen hätte", der "langfristig als Argument genutzt werden [könnte], die repräsentative Demokratie auszuhebeln". Zudem würden Äußerungen "irgendwelcher Netzchaoten" auf offiziellen Bundestags-Websites die "Würde des Parlaments beschädigen" und nicht zuletzt erwartet man, das "Stimmungsmache im Internet" besonders den beiden Unionsparteien schadet.

Bei der FDP veröffentlichte man eine Erklärung zur Schadensbegrenzung, in der unter anderem die Frage auftaucht, inwieweit das Instrument denn tatsächlich genutzt worden wäre. Sie ist insofern berechtigt, als es eine relevante inhaltliche Auseinandersetzung mit der Arbeit der Internet-Enquete-Kommission tatsächlich nur dann geben könnte, wenn auch die Sitzungen der Arbeitsgruppen gestreamt würden. Dies lehnte die Politik jedoch mit der Begründung ab, dass "die anwesenden Industrie-Lobbyisten besser in einem geschlossenen Raum von ihren Partikularinteressen Richtung Kompromiss abweichen könnten". Die Wirklichkeit in den Arbeitsgruppen sieht Markus Beckedahl von netzpolitik.org zufolge "allerdings komplett anders aus", nämlich "genauso so wie man sich das vorstellt".

Nun gibt es Adhocracy ohne offizielle Bundestagsanbindung und ohne dass Steuermittel für neue Bundestags-Server und Sicherheitsarchitekturen aufgewendet werden. Ob diese Lösung die Unionsparteien so vor dem Internet schützen wird, wie sie sich dies der FTD nach vorstellen, bleibt freilich offen. Langfristig könnte es durchaus sein, dass Gremien, die sich einer Bürgerbeteiligung zu hartnäckig verweigern, in der Öffentlichkeit deutlich an Legitimität verlieren und dass dafür andere Institutionen auf informellem Wege an Autorität zulegen.