Die Bedrohung durch Iran als Grundlage für neue Waffenexporte?

Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien und die "Merkel-Doktrin"

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Qatif heißt die Region und die Stadt im Osten Saudi-Arabiens - am Persischen Golf gelegen, in unmittelbarer Nähe zur großen Erdölverladestation Ras Tanura und unweit von Bahrain -, wo die schiitische Mehrheit der Bevölkerung seit mehreren Jahrzehnten in unregelmäßigen Abständen unruhig wird und mehr Rechte von den sunnitischen Herrschern einfordert. Die Nachrichten sind spärlich. Einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurden die Proteste, die im Juli dieses Jahres niedergeschlagen wurden. Dabei kamen mehrere Personen ums Leben, darunter auch ein bekannter schiitischer Geistlicher, weswegen die Nachrichten über diese Proteste auch weltweit beachtet wurden. Danach war in westlichen Medien größtenteils Funkstille.

"Von Feinden" aus Iran angezettelt

Das Königreich ist bekanntlich gut abgeschirmt. Nachrichten über weitere Proteste der Schiiten in Qatif drangen nur selten an die Öffentlichkeit. Die Washington Post berichtete im Oktober mit einer Fotoreihe von "civil unrest" in der Region. Ansonsten waren es vor allem iranische Publikationen wie die Teheran Times oder aktuell Press TV, welche die Proteste weiterverfolgen. So berichtet Press TV aktuell von Demonstrationen, die am Wochenende in Qatif stattfanden. Allerdings ohne Angaben darüber, wie viele Teilnehmer die Freilassung eines verhafteten schiitischen Geistlichen forderten und Slogans gegen das Regime skandierten.

Festzuhalten bleibt bei aller Vorsicht gegenüber der Einschätzung der Proteste auch seitens iranischer Medien, dass die Region im Osten Saudi-Arabiens politisch angespannt ist und die saudi-arabischen Herrscher unmissverständlich erklärten - und mit Aktionen auch verstehen ließen -, dass sie den Protesten keine Luft geben wollen. Dazu zieht man die Erklärung heran, mit der auch in Bahrain das rücksichtslose Vorgehen gegen Demonstranten mit tödlichen Folgen legitimiert wurde (dort halfen saudi-arabische Truppen bekanntlich bei der Niederschlagung der Aufstände mit). In der offiziellen Sprachregelung handelte es sich um eine ausländische Verschwörung, die von Iran ausging.

Die Erklärung gilt auch für die Einordnung der Lage in Qatif. So wies die höchste geistliche Autorität in Saud-Arabien, der große Mufti Scheich Abdul Asis ibn Abdullah Aal Al Sheikh, in Richtung Teheran, als er vor Kurzem erklärte, dass die Demonstrationen in Golfstaaten "von Feinden" angezettelt würden. Qatif ist eine Krisenzone.

Kampf gegen Verschwörer und die Rede von Staaten, "die sich engagieren"

Dies ist ein Hintergrund, den man im Auge behalten sollte, wenn es um Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien geht. Und das Bild dazu wäre die Kolonne von saudischen Panzerfahrzeugen, die im Frühjahr 2011 über die Landbrücke nach Bahrain fuhr, um der dortigen Regierung im "Kampf gegen Verschwörer" beizustehen ( Ausschaltung der Opposition nach allen Regeln orientalischer Despotenkunst).

Am Wochenende wurde bekannt, dass Saudi-Arabien "offiziell wegen des Kaufs von mehreren hundert Radpanzern des Modells 'Boxer' für die königliche Garde angefragt" habe. Nach Informationen des Spiegel sei das Anliegen in einer geheimen Sitzung des Bundessicherheitsrates verhandelt worden. Die Entscheidung soll auf das kommende Jahr verschoben worden sein.

Das gepanzerte Transport-Kraftfahrzeug Boxer wird von Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegman hergestellt; der Stückpreis liegt etwa bei 3,3 Millionen Euro. Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels wird mit der Bemerkung zitiert, er könne sich "an kein einziges Rüstungsgeschäft mit Saudi-Arabien erinnern, bei dem es nicht wenig später Meldungen über Korruption gegeben hätte". Saudi-Arabien hat wie auch Katar bereits Interesse an deutschen Panzern bekundet. Beide Staaten sind derzeit politisch so ausgerichtet, dass sie Interventionen nicht scheuen.

Die "Merkel-Doktrin"

Oppositionspolitiker, wie auch der CDU-Abgeordnete Ruprecht Polenz, argwöhnen einen strategischen Wechsel der Bundeskanzlerin, eine Art Merkel Doktrin, wonach Waffenexporte künftig auch in Krisengebieten getätigt werden können. Der Schlüsselsatz dazu findet sich in einer Rede Merkels vor dem Bergedorfer Gesprächskreis der Hamburger Körber-Stiftung:

"Wenn wir, wie zum Beispiel nach den schlimmen Erfahrungen in Somalia 1993/94, davor zurückschrecken, selbst in einen Konflikt einzugreifen, dann reicht es in der Regel nicht, an andere Länder und Organisationen Worte der Ermutigung zu richten. Wir müssen die Staaten, die bereit sind, sich zu engagieren, auch dazu befähigen. Ich sage ausdrücklich: Das schließt auch den Export von Waffen mit ein - dies selbstverständlich nur nach klaren und weithin anerkannten Prinzipien."

Unübersichtlichkeit und Partikularinteressen bei Interventionen

Wie der Konflikt in Syrien, aber auch in Bahrein, vor Augen führt, sind dort Unübersichtlichkeit, Partikularinteressen, gemischt mit ideologischen Parteinahmen und Überhöhungen in der Darstellungen des Konflikts, das alltägliche Gegenüber zu den "klaren Prinzipien", von denen Merkel spricht. Mit Waffenlieferungen stärkt man eine Kriegspartei und beeinflusst damit Verhandlungsoptionen zur Klärung von Konflikten erheblich, weil man die Gewichte verändert. Die Hände bleiben schmutzig. Mit Waffenlieferungen bleibt man nicht draußen.

"Staaten, die bereit sind, sich zu engagieren", ist ein Euphemismus; Saudi-Arabien und Katar sind keine Zivilpersonen, die sich politisch für "das Gute" engagieren, sondern Regionalmächte mit eindeutigen politischen Zielen, die die Interessen der Zivilbevölkerung im Falle eines Falles nach hinten rücken, wenn es sein muss auch mit kriegerischen Mitteln. Die Begründung, dass man mit den beiden Staaten ein "Bollwerk gegen den Iran" stärkt, ist eine schablonenhafte Legitimation, die das eigene Zutun beim Schüren dieses Konfliktes ebenso außer Acht läßt wie Partikularinteressen von Machtfilialen in der Region, die man aus Geschäftsinteressen heraus bedient.

Sollten die Nato-Länder USA, Frankreich und Großbritannien mit ihren weniger restriktiven Waffenexport-Vorgaben auch für die Bundesrepublik zum Vorbild werden, brauche man kein Parlament mehr, dass darüber abstimmt, in welche Länder exportiert werden darf, wird der Rüstungskritiker Otfried Nassauer zitiert.