In Österreich scheinen die Türken wieder vor Wien zu stehen

Ein Interview mit dem türkischen Botschafter sorgt für Empörung, die verteidigte abendländische Kultur scheint wenig tolerant und diskussionsfreudig zu sein

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Man wird doch noch einmal sagen dürfen, heißt es bei den ausländerfeindlichen oder islamophoben Ideologen, wenn sie mal wieder eine pauschale Breitseite gegen eine Gruppe von Menschen abgeben. Endlich hat auch mal ein Vertreter der Betroffenen ebenso ausgeteilt, nämlich Kadri Ecved Tezcan, der türkische Botschafter in Österreich.

Natürlich jaulen nun die angeblichen Verteidiger der christlich-abendländischen Kultur auf, die ansonsten so für die von den Muslimen bedrohte Meinungsfreiheit auftreten. FPÖ-Chef Strache wird angesichts der Österreich-Schelte ganz empfindlich und fordert ganz freiheitliich den Rücktritt des Botschafters und eine offizielle Entschuldigung der türkischen Regierung. Noch offener tritt FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky für die abendländischen Werte und forderte das sofortige Aussetzen der diplomatischen Beziehungen Österreichs zur Türkei.

Nur die Grünen finden die Äußerungen des Botschafters anregend und bedenkenswert, die anderen Parteien geben sich empört, weil sie meinen, das mehrheitliche Volk will Nämliches hören. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) findet die Äußerungen "inakzeptabel", die von Tezcan angegriffene ÖVP-Innenministerin Fekter erregt sich über eine "unglaubliche Entgleisung". Der ÖVP-Außenminister bestellte den Botschafter zu sich. Der Standard titelt amüsiert: Botschaft angekommen, Land empört, Die Presse meint hingegen, nun habe Österreich seinen "türkischen Sarrazin". Der rechte Kurier meint, "die Türkei" provoziere bewusst. Die noch extreme Kronen-Zeitung spricht von einem "Skandal-Interview" und fordert Konsequenzen, beispielsweise sollte der Botschafter zur "unerwünschten Person" erklärt werden. So also die angeblichen Vertreter der Demokratie und der christlichen Kultur.

Der Anlass der Erregung ist ein Interview, das der türkische Botschafter endlich mal mit herunter gelassenem Visier der österreichischen Zeitung Die Presse am Dienstag gegeben hat. Weltbewegendes findet man daran nicht, allerdings schon einmal die so genannte Integrationsdebatte von der anderen Seite, aber die will man weder in Österreich noch in Deutschland hören. Es geht ja schließlich um Erregungspolitik, die sich gegen Minderheiten richtet. Der Botschafter richtet auch einmal einen Blick auf die Integrationswilligkeit der Österreicher:

"Außer im Urlaub interessieren sich die Österreicher nicht für andere Kulturen. Österreich war ein Imperium mit verschiedenen ethnischen Gruppen. Es sollte gewohnt sein, mit Ausländern zu leben. Was geht hier vor?"

Er kritisiert, dass für Integration das Innenministerium – wie in Deutschland - zuständig ist, was man ja wohl in einer Demokratie machen kann, was aber die Innenministerin als unstatthaft zurückweist. Dabei sind die Argumente durchaus nachvollziehbar:

"Integration ist ein kulturelles und soziales Problem. Aber in Österreich ist das Innenministerium für Integration verantwortlich. Das ist unglaublich. Das Innenministerium kann für Asyl oder Visa und viele Sicherheitsprobleme zuständig sein. Aber die Innenministerin sollte aufhören, in den Integrationsprozess zu intervenieren. Wenn man dem Innenministerium ein Problem gibt, wird dabei eine Polizeilösung rauskommen."

Es sollte das Sozial- oder Familienministerium sein, meint der Botschafter, der sich auch deutlich zur Innenministerin und zur deutschen Bundeskanzlerin äußert. Und das wird er wohl dürfen:

"Sie ist Mitglied einer Volkspartei, die sich als liberal versteht. Oder bin ich falsch informiert? Was sie vertritt, entspricht nicht einer liberalen, offenen Geisteshaltung. Das Gleiche gilt übrigens auch für Angela Merkel. Ich war so überrascht, als sie vor zwei Wochen sagte, Multikulturalismus habe versagt und Deutschland sei eine christliche Gesellschaft. Was für eine Mentalität ist das? Ich kann nicht glauben, dass ich das im Jahr 2010 in Europa hören muss, das angeblich das Zentrum der Toleranz und Menschenrechte ist. Diese Werte haben andere von euch gelernt, und jetzt kehrt ihr diesen Werten den Rücken. Trotzdem will ich nicht sagen, dass die Migranten keine Fehler gemacht haben."

Der Botschafter betont, dass die Türken Deutsch lernen müssen, und meint, dass es gut wäre, wenn sie auch richtig Türkisch lernen würden. Das würde die Integration befördern. Dem muss man nicht zustimmen, aber sagen wird man es wohl dürfen. Ob die Forderung, Türkisch auch als Sprache für das Abitur zuzulassen, sinnvoll ist, kann man diskutieren, ein Tabu kann das sicher nicht sein. Das Hauptproblem dürfte aber wohl sein, dass der Botschafter einmal deutlich die anti-türkische und antiislamische Stimmungsmache angesprochen hat:

"In dieser Stadt, die behauptet, ein kulturelles Zentrum Europas zu sein, stimmten fast 30 Prozent für eine extrem rechte Partei. Wenn ich der Generalsekretär der UNO, der OSZE oder der Opec wäre, würde ich nicht hier bleiben. Wenn ihr keine Ausländer hier wollt, dann jagt sie doch fort. Es gibt viele Länder auf der Welt, in denen Ausländer willkommen sind. Ihr müsst lernen, mit anderen Leuten zusammenzuleben. Was für ein Problem hat Österreich?"

Ja, so wollen die rechten und nationalistisch gesinnten Österreicher sich nicht sehen wollen. So etwas zu sagen, ist inakzeptabel. Würde man die Kriterien mal auf die eigenen Äußerungen anlegen …