Der Weg in Hartz-IV ist kürzer als vermutet

Über 1,42 Millionen Menschen wurden in den letzten sechs Monaten neu arbeitslos. Nicht wenige davon landen direkt im Hartz-IV-System

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Deutschland verzeichnet durch die gute Auftragslage deutscher Unternehmen derzeit sehr niedrige Arbeitslosenzahlen. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) sieht die deutsche Wirtschaft in einem kräftigen Aufschwung, der zunehmend von der Binnenwirtschaft getragen wird. Doch die aktuell positiv aussehende Arbeitslosenstatistik ist nur die eine Seite der Medaille. Denn viele Arbeitnehmer wurden in den letzten sechs Monaten neu arbeitslos, wie eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zum Arbeitsplatzverlust ergab, die jetzt vom Bundesvorstand Dr. Wilhelm Adamy vorgestellt wurde.

So sind 1,42 Millionen Arbeitnehmer in den ersten sechs Monaten dieses Jahres aus einer Beschäftigung des ersten Arbeitsmarktes heraus arbeitslos geworden. Und das, obwohl der überwiegende Teil (908.000 Personen) über eine reguläre Berufsausbildung verfügt. 5,7% aller Berufstätigen mit abgeschlossener Ausbildung gingen also neu in die Arbeitslosigkeit. Ein Wert, der zwar deutlich unter dem von Personen ohne Berufsabschluss liegt, denn hier war bereits jeder Zehnte von neuer Arbeitslosigkeit betroffen. Doch auch bei den Arbeitnehmern mit Fachhochschulabschluss oder Studium sind es immerhin noch 110.000 Personen oder 3,7%.

Problematisch wird es für die in Arbeitslosigkeit geratenen Menschen ohne Berufsausbildung, denn diese haben ein deutlich erhöhtes Risiko, mit dem Arbeitsverlust in die Armut abzugleiten. Während Akademiker als Arbeitslose zu 9,8% nachfolgend vom Hartz-IV-System betreut werden mussten, waren es bei den Menschen mit abgeschlossener Ausbildung schon 18,8% und bei jenen ohne Berufsausbildung sogar 41,2%. Kaum verwunderlich, da letztgenannte Gruppe überdurchschnittlich häufig von Niedriglöhnen betroffen ist. Auch die Dauer der Arbeitslosigkeit bei Arbeitnehmern ohne Abschluss ist mit 264 Tagen um Tage 58 länger als bei der Vergleichsgruppe.

Arbeitnehmer mit geringer Qualifikation sind nicht nur länger ohne Arbeit, sie tragen auch das höchste Risiko, direkt in den Rechtskreis SGB II abzurutschen, da sie trotz vorangehender Arbeitstätigkeit keine oder nur ungenügende Ansprüche für die Arbeitslosenversicherung aufbauen konnten. Befristete Jobs und Niedriglöhne zeigen hier deutliche Auswirkungen. Hier ist nach Angaben des DGB eine Verstärkung dieses Prozesses um 20% gegenüber dem Vorjahr zu beobachten.

"Die gute Konjunktur hat nicht verhindern können, dass in 2011 noch mehr Menschen nach Job-Verlust auf Hartz-IV angewiesen sind als ein Jahr zuvor", so der DGB. "Dies gilt für Akademiker, Menschen mit betrieblicher Ausbildung sowie für Geringqualifizierte gleichermaßen. Der Weg vom Arbeitnehmer zum Hartz-IV Empfänger ist kürzer als vielfach vermutet." Da zudem befristete Beschäftigungsverhältnisse stark zugenommen haben, rät der DGB, dass dem betroffenen Personenkreis der erleichterte Zugang zu Leistungen zur Arbeitslosenversicherung ermöglicht werden soll. Die Rahmenfrist, also der Zeitraum, dessen Beitragszeiten berücksichtigt werden, sollte von zwei auf drei Jahre erweitert werden. Und hier schließt sich der Kreis zur anfangs erwähnten stabilen Binnennachfrage, die den Aufschwung am Arbeitsmarkt (noch) in Gang hält.