Trügerische Ruhe in Portugal

Der Anführer der Nelkenrevolution 1974 schließt einen Militärputsch angesichts des harten Sparkurses nicht mehr aus

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Die Lage in Portugal ist angespannt. Die Spannung steigt angesichts des immer härteren Sparkurses der konservativen Regierung unter Pedro Passos Coelho weiter an. Sie wird nach allen Voraussagen in einen massiven Generalstreik am 24. November münden. Doch schon jetzt kommt es immer wieder zu Streiks. So wurde am Dienstag der öffentliche Verkehr weitgehend lahmgelegt. Die Streiks dürften sich ausweiten, denn das Parlament hat in der Hauptstadt Lissabon am Donnerstag darüber debattiert, den rigiden Sparkurs noch weiter zu verschärfen. Im Haushalt 2012 sind für viele Menschen inakzeptable Maßnahmen geplant, wie den bezahlten Urlaub für die Mehrheit der Beschäftigten im öffentlichen Dienst abzuschaffen. Dazu finden sich weitere Steuererhöhungen, um die Einnahmeseite zu verbessern und weitere Ausnahmekürzungen.

Mit diesen Maßnahmen will die Regierung die Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und den Internationalen Währungsfonds (IWF) befriedigen. Derzeit befindet sich eine 30-köpfige EU-Überprüfungskommission der Troika im Land, um zu überprüfen, ob die Reformen eingehalten werden, die mit dem Land im Rahmen der Nothilfe über den temporären Rettungsfonds (EFSF) im Sommer 2010 vereinbart wurden. Dem Land wurde eine Nothilfe von 78 Milliarden Euro gewährt, weil es sich angesichts des Zinsniveaus für seine Staatsanleihen nicht mehr an den Finanzmärkten refinanzieren konnte.

Als die Renditen für die portugiesischen Staatsanleihen die Schwelle von sieben Prozent überschritten, wie es am Mittwoch auch für Italien der Fall war, musste Portugal unter den Rettungsschirm gehen. Dabei ist das Land deutlich geringer als Griechenland oder Italien verschuldet. Die Staatsverschuldung lag Ende 2010 im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei 93 Prozent. Damit lag das Land noch hinter Irland (95%), Belgien (96%), Italien (119%) oder Griechenland (145%).

Angesichts des griechischen Vorbilds wird natürlich auch bei Irland und Portugal vermutet, dass sie nach einer Phase der Stabilisierung über den EFSF nicht wieder zur Refinanzierung an die Kapitalmärkte zurückkehren können. Weil die Zinsen nun auch für die beiden großen Länder Italien und Spanien auf Rekordwerte steigen, ist eher das Gegenteil zu vermuten. Dann würde auch Portugal nach dem ersten Rettungspaket ein zweites Rettungspaket wie Griechenland benötigen.

Die Prüfer der Troika zeigen sich aber zufrieden mit den Reformen im Land. Der Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, gab sich zuversichtlich, dass das Land kein zusätzliches Geld benötige. "Ich glaube ganz ehrlich nicht, dass Portugal einen höheren Betrag braucht", sagte Juncker am Mittwochabend in Lissabon nach einem Treffen mit Ministerpräsident Passos Coelho. Allerdings sind da viele portugiesische Medien anderer Meinung. Immer wieder wird berichtet, das Land benötige weitere 20 bis 30 Milliarden Euro. Auch der portugiesische Ministerpräsident hatte vor zwei Wochen von der Möglichkeit gesprochen, dass die bisherige Nothilfe nicht ausreichen dürfte.

Auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Juncker versicherte er aber, dass Portugal seinen Verpflichtungen zur Einhaltung aller Programm-Ziele nachkommen werde. "Wir werden alle Ziele erreichen." Mit allen anderen Ländern der Eurozone wolle Lissabon die Bedingungen schaffen, die nötig seien, damit das Vertrauen der Märkte wiedergewonnen und finanzielle Stabilität erreicht werde. Allerdings widersprechen sich diese Aussagen damit, dass Passos Coelho "flexiblere Bedingungen" bei der Durchführung der Reformen gefordert hat. Die lehnte Juncker allerdings ab. Am Sanierungsplan könne es nur technische Korrekturen geben, "die Ziele müssen aber erfüllt werden", sagte der.

Es ist offensichtlich, dass Brüssel angesichts des Chaos um Griechenland und Italien nicht auch noch schlechte Nachrichten aus Portugal verbreiten will. So zeigte sich auch der Sprecher von EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn, Amadeu Altafaj-Tardio, davon überzeugt, dass "Portugal über eine ausreichende Finanzierung verfügt, um wieder an die Finanzmärkte zurückzukehren". Schon jetzt deutete er an, dass an der Auszahlung der neuen Tranche kaum Zweifel bestehen. Im August hatte die portugiesische Regierung die erste Prüfung bestanden, worauf 11,5 Milliarden Euro überwiesen wurden. Erhält das Land nun erneut das Plazet der Delegation, wird es weitere 8 Milliarden Euro erhalten.

Fraglich ist, ob mit dem Sparkurs die Defizitziele erreicht werden können

Allerdings müssen die Aussagen der Vertreter aus Brüssel mit Vorsicht genossen werden. Denn wie Portugal sich am Finanzmarkt finanzieren soll, wenn sogar Länder wie Italien und Spanien damit Probleme haben, ist mehr als fraglich. Die Troika hatte zudem auch Griechenland ein gutes Zeugnis ausgestellt, kurz bevor die zweite Nothilfe notwendig wurde. Dazu kommt, dass auch Portugal wie Griechenland von der Rezession in die Depression gespart werden könnte. Denn inzwischen wird allseits kritisiert, dass der Sparkurs der wirtschaftlichen Erholung eines Landes absolut nicht dient. Die Arbeitslosigkeit ist auch in Portugal weiter gestiegen und die Quote liegt nun bei 12,5 Prozent. Und für die portugiesische Wirtschaft erwartet auch EU-Kommissar Rehn, dass sie 2012 wieder schrumpfen wird. Sie soll mit einem Minus von drei Prozent sogar noch stärker schrumpfen als die Griechenlands.

Da damit Steuerausfälle und steigende Sozialausgaben verbunden sind, ist auch fraglich, ob mit dem Sparkurs die Defizitziele erfüllt werden. Im Gespräch mit dem Ministerpräsidenten hatte auch sein sozialistischer Vorgänger Mário Soares versucht, den Konservativen zum Umdenken zu bewegen. Soares lobte Passos Coelho als "ernsthaften Mann", der einen "großen Einsatz" zeige. Man müsse ihn aber davon überzeugen, das es auch "Alternativen zur Sparpolitik der Regierung gibt".

Andere im Land sprechen angesichts der sich zuspitzenden Lage für die breite Bevölkerung eine deutlichere Sprache. Otelo Saraiva de Carvalho, Führer der friedlichen Nelkenrevolution, mit der linke Militärs die Diktatur stürzten, warnte die konservative Regierung, bei ihrem Sparkurs zu weit zu gehen. Wenn bestimmte Grenzen dabei überschritten würden, was der Verlust von Rechten der Bevölkerung angeht, "kann die Antwort ein Militärputsch sein, der einfacher wäre als der vom 25. April 1974".