Rettungsschirme: Berliner Koalition fällt erneut um

Merkel und Seehofer verschieben die deutsche Haftung weit über die Grenze von 211 Milliarden Euro hinaus

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Es hatte sich längst abgezeichnet, dass die Bundeskanzlerin weitere Rettungsmilliarden locker machen will. Die Haftungsgrenze für Deutschland wird nun weit über die bisher geplanten 211 Milliarden Euro hinaus verschoben. Angela Merkel (CDU) wird noch heute die Unionsfraktion im Bundestag über die Pläne zur Ausweitung unterrichten. Merkel kündigte an, den temporären Rettungsschirm EFSF nicht durch den neuen dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM zu ersetzen. Der EFSF soll erwartungsgemäß nun einige Jahre lang parallel zum ESM existieren.

Es ist die Story einer angekündigten Umkehr und fügt sich in die lange Reihe der Merkelschen Umfaller ein. Einst waren die Kanzlerin und ihre Koalitionäre gegen jede Nothilfe für Griechenland. Als die dann eilig geschaffen werden musste, um europäische Banken zu retten, war Merkel später aber wieder dagegen, den EFSF auszuweiten. Das wurde dann auch bald umgesetzt und nun fällt ihre Regierung auch dabei um, die deutsche Haftung auf 211 Milliarden zu begrenzen.

Doch das Trommelfeuer hat gewirkt, mit dem die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) und andere Finanzorganisationen die Ausweitung der Summe gefordert hatten. Man muss davon ausgehen, dass die Ausweitung letztlich so dauerhaft wird, wie ein als Krisenmechanismus geplanter Fonds längst zum Normalzustand mutiert ist. Die Krise wird also immer stärker als kapitalistischer Normalzustand akzeptiert.

Risiko für deutsche Steuerzahler bei 400 Milliarden Euro

Durch das parallele Fortbestehen beider Fonds steigt für Deutschland die Haftungsobergrenze also nun auf mindestens 280 Milliarden Euro. Das bisherige Risiko für deutsche Steuerzahler, so schuldenkrise-deutsche-haften-im-pleitefall-mit-400-mrd-euro/70014481.html: rechnet die Financial Times Deutschland vor, verdoppelt sich von der ursprünglich unverrückbaren Grenze von 211 Milliarden bis Mitte 2013 sogar auf mehr als 400 Milliarden Euro. Denn zu der bisherigen Garantiesumme kommen in den nächsten Wochen die Bareinlagen und Garantien von 190 Milliarden Euro für den ESM.

Dabei hatte der CSU-Chef Seehofer stets die Grenze von 211 Milliarden Euro als rote Linie der Koalition bezeichnet. Nun versucht er sich in Argumentationsakrobatik. ESM und EFSF seien "zwei verschiedene Inhalte, zwei verschiedene Haftungsbereiche", meint er so, als dienten beide nicht dafür, genug Geldmittel für einen potentiellen Absturz Spaniens bereitzustellen. Doch sein Parteifreund Peter Gauweiler hält die die roten Linien der CSU für "ganz klar" überschritten, schließlich "können doch alle lesen."

Gauweiler gehört zu den Abweichlern, die kürzlich dafür sorgten, dass Merkel erstmals keine Kanzlermehrheit mehr bekam, als die Griechenland Nothilfe 2.0 beschlossen wurde und auch ein drittes Bankenrettungsprogramm nicht mehr ausgeschlossen wurde.

"Eine Lösung, die sehr flexibel ist, die sehr angemessen ist"

An den Barrikaden, welche die 2-Prozent-Partei FDP aufgestellt hat, stößt sich die Kanzlerin nun aber ohnehin nicht mehr, seit die Liberalen im Saarland auch dieses Ergebnis noch deutlich unterschritten haben. Schließlich hatte sich auch der Absturz-FDP-Chef Philipp Rösler stets ultimativ gegen eine weitere Ausweitung ausgesprochen. Es wäre nun dann aber wirklich an der Zeit, der Opposition entgegen zu kommen, auf deren Stimmen Merkel nun angewiesen ist, und die Finanztransaktionssteuer einzuführen, gegen die sich die FDP mit den Briten stellt.

Wieder einmal versucht man in Berlin das neue Vorgehen als Erfolg der Kanzlerin zu verkaufen. Der Vorschlag der Bundesregierung sei "eine Lösung, die sehr flexibel ist, die sehr angemessen ist", meinte der Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier. Er hofft angeblich auf ein breite Unterstützung in der Koalition, weil diese Lösung, "den deutschen Interessen am ehesten entspricht". Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wird Ende der Woche auf dem Treffen der Euro-Finanzminister in Kopenhagen für diese Lösung kämpfen, kündigte er an. Seine Kollegen werden lächeln. Allen ist klar, dass der ESM nötigenfalls auch noch deutlich über die bisherigen Summen ausgeweitet werden kann. Denn Merkel wird auch dann wieder umfallen.