Wolffsohn relativiert Bedeutung der Beschneidung im Judentum

Der Historiker weist unter anderem darauf hin, dass Konvertiten bis ins zweite nachchristliche Jahrhundert nicht durch eine Vorhautentfernung, sondern wahrscheinlich durch eine Taufe in die Religionsgemeinschaft aufgenommen wurden

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In der nach einem Urteil des Landgerichts Köln entbrannten Debatte um die Legalität der Knabenbeschneidung in Deutschland hat sich nun auch der bekannte Historiker Michael Wolffsohn zu Wort gemeldet. Er entnimmt der Bibel und anderen historischen Quellen, dass das Ritual bereits in der Vergangenheit durchaus umstritten war. So setzte beispielsweise nach 2-9&version=LUTH1545: Josua 5, 2-9 Moses den Brauch während der vierzigjährigen Wanderung durch den Sinai aus und sein ältester Sohn blieb 24-26&version=LUTH1545: Exodus 4, 24-26 gemäß unbeschnitten, bis ihm sein Weib Zippora, eine Fremde, die Vorhaut mit einem Stein entfernte.

Wolffsohn zufolge symbolisiert der Brauch die vollständige Hingabe an Gott, wie sie im Menschenopfer sichtbar wird, das Jahwe von Abraham in Genesis 22 erst fordert und dann im letzten Moment doch von sich weist. In einer "Verfeinerung" dieses Opfers gaben Juden bei der Beschneidung etwas her, das ihnen sehr wertvoll war – ein Stück ihres "Schmocks". Doch auch das hält der an der Forschungsstelle für deutsch-jüdische Zeitgeschichte tätige Geschichtswissenschaftler lediglich für eine "Krücke auf dem Weg zu Gott oder […] auf dem Weg zur Erfüllung ethischer Prinzipien".

Diese Sichtweise untermauert er sowohl mit Bibelstellen wie Deuteronomium 10, 16 ("Ihr sollt die Vorhaut eures Herzens beschneiden und nicht länger halsstarrig sein") und Jeremias 4, 4 ("Beschneidet euch für den Herrn und entfernt die Vorhaut eures Herzens"), als auch mit der Feststellung, dass die Halacha klar regelt, dass auch ein unbeschnittener Sohn einer Jüdin dem Religionsgesetz nach Jude ist. Selbst Konvertiten wurden, wie er anmerkt, bis ins zweite nachchristliche Jahrhundert nicht durch eine Vorhautentfernung, sondern wahrscheinlich durch eine Taufe in die Religionsgemeinschaft aufgenommen.

Unter anderem aus diesen Gründen sind für ihn die Bemerkungen von Religionsfunktionären wie die, dass nach dem Kölner Urteil kein jüdisches Leben mehr in Deutschland möglich sei, "substanz- und taktlos". Und als "jüdischer Deutscher" fragt er sich, warum sich Deutsche nicht an einer Debatte über Beschneidung beteiligen sollen. Auch wegen solcher Äußerungen sieht er in der Debatte eine vertane Chance, "jüdische Inhalte zu überdenken und, mit neuer innerer Kraft, beizubehalten – oder zu ändern".