Abschied vom Sex, Beginn der Rationalität?

Eine japanische Umfrage scheint wieder einmal zu belegen, dass die Menschen sich aus der Natur zurückziehen

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Man hat ja gelegentlich den Eindruck, dass Sex immer wichtiger und aufdringlicher wird. Das könnte aber täuschen. Möglicherweise dominiert Sex in den Medien, als Möglichkeit und als Versprechen desto mehr, je weniger er im Alltagsleben präsent ist oder Abwehr hervorruft, wenn es Ernst wird. Vielleicht gibt es die Internetsexsucht massenhaft, aber gleichzeitig die massenhafte Prüderie oder Keuschheit. Vielleicht "fixt" die virtuelle Pornografie gar nicht an, wie gerne behauptet wird, sondern verstärkt die Unlust?

Dass irgendwie die Lust am Sex abnimmt, ist schon länger bekannt ( Kein Sex und Spaß dabei). Kürzlich hat eine Umfrage des japanischen Gesundheitsministeriums dies noch einmal bestätigt ( Keine Lust mehr auf körperlichen Sex?). Junge japanische Männer scheinen zunehmend die Lust am Sex zu verlieren, was natürlich gleich mit der geringen Geburtsrate in Zusammenhang gebracht wird, obgleich Sex und Reproduktion nicht unbedingt verbunden sein müssen.

Wenn die Zahlen einigermaßen repräsentativ sind, dann wird sich durch die Entsexualisierung die Gesellschaft verändern. Ein Drittel der jungen Männer zwischen 16 und 19 Jahren sind an Sex nicht interessiert oder lehnen ihn gar ab. Das wären doppelt so viele wie noch 2008. Nicht nur die ganz Jungen fremdeln mit der intimen körperlichen Begegnung mit einem anderen Menschen. 21,5 Prozent der 20-24-Jährigen geht es nicht anders.

Nicht nur die Männer scheuen vor den körperlichen Exzessen der Wetware zurück, ähnlich ist es bei den Frauen, vor allem bei den jungen. Hier haben gar 59 Prozent keine Lust auf Sex, 12 Prozent mehr als 2008. Und die Absenz von Sex zeigt sich aber auch bei verheirateten Paaren. 40,8 Prozent hatten keinen Sex im Monat vor der Umfrage. Bei den Verheirateten wird die Zurückhaltung vor allem auf die Geburt des ersten Kindes oder Müdigkeit durch zu viel Arbeit zurückgeführt.

Sollte der Trend zur realen Sexlosigkeit anhalten, dann könnte dies auch ein Zeichen für einen Ausstieg der Menschen aus der biologischen Evolution sein, die durch den Imperativ der triebbedingten Reproduktion und der zufälligen Selektion vorangetrieben wurde. Zwar stecken die Menschen noch in ihren Körpern fest, wollen ihn aber möglichst rein und makellos haben.

Künstliche Befruchtung ist die Option für diejenigen, die noch Nachwuchs haben wollen, ohne deswegen Geschlechtsverkehr betreiben zu müssen. Und das Kind austragen können ja auch Leihmütter, solange es noch einen künstlichen Uterus nicht gibt. Gestillt wird natürlich auch nicht, dafür aber die genetische Ausstattung bewusst und rational selektiert. Und um nicht einen unbedachten Fehler zu machen und der genetischen Lotterie die Entscheidung zu überlassen, wofür sich die Kirchen einsetzen, wird der reale Sex als Versuchung zur Irrationalität vermieden. Die nächsten Kinder sind dann die virtuellen und verkörperten Roboter. Sollten die Menschen keusch werden, sind sie gewissermaßen zu Priestern geworden, zu Dienern Gottes. Besonders für die katholische Kirche könnte dies zu einem Problem werden, da sie die Keuschheit der Einen und den Reproduktionszwang der Verheirateten verteidigt.