Frauenfalle

Außer Kontrolle

Zwei charismatische Vorzeigefrauen in einer jungen, aufstrebenden Partei - für die Medien war dies willkommen. Doch die Konzentration auf die "attraktive Oberpiratin" Marina Weisband barg Tücken

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Eine Königin muss sein

Als in "Star Trek" (Raumschiff Enterprise) das erste Mal die Borg auftauchten, wurden sie zum Sinnbild für eine Spezies, die sich allein durch ein Kollektiv definierte. Hierarchien und höhergestellte Wesen waren bei den Borg unbekannt, für das Kollektiv nützliche Spezies wurden assimiliert, dem Kollektiv einverleibt, während irrelevante Spezies von den Borg ignoriert wurden. Während die meisten Spezies, denen die Crew der Enterprise begegnete, von Hierarchien geprägt waren, waren die Borg eine willkommene Ausnahme. Dies änderte sich mit dem Auftauchen der Borg-Königin. Nicht nur wurde mit ihr das Konzept der Schwarmintelligenz über den Haufen geworfen, durch die pseudoerotischen Handlungen mit dem Androiden Data, der Weigerung, den Verlust von "Locutus" (Picard) als Mitglied des Kollektivs anzuerkennen sowie zeitweilig fast sentimental anmutenden Offenbarungen wie der, dass sie selbst sehr jung assimiliert wurde, brach die gesamte Borg-Idee zusammen, während der Fokus auf der Königin lag.

Endlich eine Vorzeigefrau

Ähnlich agierten die Medien, als bei der noch jüngst als frauenunfreundlich bzw an Frauenmangel leidend titulierten Piratenpartei neben der provokanten "Post Privacy Verfechterin" Julia Schramm eine neue "Vorzeigefrau" auftauchte, die den Bundesvorstand "enterte", wie es in der manchmal doch eher infantil wirkenden Sprache mancher Piraten wohl heißen würde. Dabei sind es weniger die Anleihen an die Piratengeschichte als der exzessive Gebrauch dieser Anleihen, der "unser Kapitän", "alle an Bord gehen", "kein sinkendes Schiff" und ähnliches nach einiger Zeit dröge und bemüht erscheinen ließ. Während die eher naiv von Transparenz und Datenschutz als Relikt sprechende Julia Schramm oft eher mitleidig als Vertreterin der "Spackeria" interviewt wurde, war es bei Marina Weisband anders.

Die "Oberpiratin" hatte auf etliche Vertreter der Medien offensichtlich eine solche Wirkung, dass diese, geblendet von so viel blassem Ausschnitt samt dezentem Davidsstern, ganz vergaßen, die Meinung der Vorzeigepiratin im Artikel zu erwähnen, sondern stattdessen davon erzählten, welche Assoziationen ihnen bei Frau Weisband kamen.

Ein Gedanke an Kate Bush ploppt auf, die Hohepriesterin der exzentrischen Kindfrauen im Pop. Ein Gedanke an Thomas Manns "kirgisenäugige" Clawdia Chauchat legt sich darüber, die am Mittagstisch durchs Drehen von Brotkügelchen und "ähnliche Ungezwungenheiten" auffällt. Und dann gibt es da auch noch einen Gedanken an Prinzessin Lillifee.

Anekdote an Anekdote reihte sich z.B. im TAZ-Artikel aneinander, um einen verklärt-romantischen Blick auf Marina Weisband zu lenken.

Marina Weisband hat mit einer Zopffrisur, rosa Ponys, Eloquenz und Empathie viel Rock 'n' Roll in der Politik dieser erstarrten Vollprofis entfesselt. Am nächsten Mittag übrigens, beim zweiten Treffen mit der jungen Politikerin in einem Café, kam ein junger Mann mit Oversize-Brille und Jogginghose aus Österreich zum Gespräch dazu. Zur Begrüßung fiel er vor Marina Weisband auf die Knie. "Du bist unsere Rettung, Marina!", rief er aus. Dann stellte er sich als Christian Windisch, zukünftiger Pirat, Nazijäger und Snowboardlehrer mit philippinischen Wurzeln aus der Steiermark vor.

Die von so viel Anschwärmerei genervte "Oberpiratin", wie sie von den Medien schnell betitelt wurde, wuchs insofern bei der Piratenpartei, die eher von Schwarmintelligenz, Liquid Democracy und dem Fehlen der gewohnten hierarchischen Strukturen sprachen, schnell zur Borg-Königin heran, die den restlichen Schwarm aus den Schlagzeilen verdrängte und insbesondere bei den Medien jenen Sexismus erlebte, den sie in ihrer Partei laut eigener Aussage nie erlebt hatte.

Spätestens seit dem letzten Bundesparteitag kommen immer häufiger Artikel mit mir, in denen hochtrabende Worte wie "neuer Star", "Hoffnung", "Lichtgestalt" oder "die schöne Piratin" verwendet werden.

[…] Seien wir ehrlich. Meine Medienpräsenz besteht zu 80% aus Fotos, Kommentaren über meine Frisur, meine Kleidung, meine Hobbies, meine Art. Hach, wie hübsch, und hach, wie erfrischend, heißt es da immer. Ja, ich bin für die Öffentlichkeit gerade eine angenehme Gestalt - jung, engagiert, weiblich. Aber wofür ich engagiert bin, warum ich in meinem Alter eine unentgeltliche 60-Stunden-Woche arbeite, was für eine Idee es ist, hinter der wir stehen, danach fragt man bestenfalls oberflächlich. […]

Ich hasse es schon, dass ich so weit im Vordergrund stehe, während jeder Pirat, der genau so viel arbeitet wie ich, oder noch mehr, nicht gesehen wird, nur weil er kein Amt hat. Ich hasse es schon, dass ich "Star" der Piraten genannt werde, weil das einfach falsch ist, weil ich kein Star bin, weil wir einfach zusammenarbeiten. Aber wenn ich schon so im Vordergrund stehe, hätte ich mir auch gewünscht, tatsächlich ein paar Worte sagen zu können. Nein, ich möchte keine Parteiwerbung machen, darum geht es mir nicht. Es geht darum, zu erklären, was im Moment möglicherweise falsch läuft. Ideen zu geben, was wir besser machen könnten. Chancen zu zeigen.

Doch teilweise waren die Äußerungen, die Marina Weisband in den Medien tätigte, auch eher kontraproduktiv für die Piratenpartei zu werten und ließen so etliche Ex-Sympathisanten mit ungläubigem Staunen zurück.

"Wenn jede Fraktionssitzung und jedes Kabinettstreffen öffentlich ist, dann merken die Bürger plötzlich, dass Politiker völlig normal sind. Sie werden dann als Menschen erkennbar, die auch nicht alles wissen, die Fehler machen und schreien, die sich manchmal sogar beleidigen", las man beispielweise bei Spiegel Online. Diejenigen, die sich seit Jahren für politische Transparenz einsetzten, fragten sich entgeistert, ob dies nun eine Satire oder eine ernstgemeinte Ansicht war, wenn der Wunsch nach Transparenz in einem Atemzug mit dem "nicht alles wissendem, manchmal schreiendem und sogar beleidigendem Politiker" genannt wurde, als sei das Interesse an Transparenz gleichzusetzen mit einer voyeuristischen Neigung, den Politiker quasi im Fraktionssitzungs-Dschungelcamp zu sehen.

Das Problem dabei ist nicht, dass die PP Vertreter verschiedenster Ansichten bei sich vereint, das Problem, das sich mit solcherlei medialer Aufmerksamkeit stellt, ist: Wie wird dem PP-Sympathisanten nun klar, welche dieser Ansichten der PP-Ansicht generell entspricht, was ihn ggf. zur Abgabe seiner Stimme für die PP bzw. für ein Engagement bei der PP verleiten könnte? Und wie wird vermieden, dass die Medien, die sich auf jede attraktive, möglichst noch etwas ungewöhnliche Frau im Parteiengeschäft stürzen, als würde es um ein Date mit ihr gehen, sich nur auf die Vorzeigefrau konzentrieren und insofern die Partei in den Hintergrund rückt?

Dieses Problem wird insbesondere dann zum großen Problem, wenn die Aussagen der so hofierten Frauen eher unseriös bis naiv daherkommen, und so noch zum Bild der hübschen Frau mit wenig Grips beitragen. Die PP ist mit Marina Weisband komplett in diese Frauenfalle getappt, die nicht zuletzt auch gerne als Kontra-Argument zur Frauenquote genutzt wird. Der Hype um die mittlerweile aus privaten Gründen vom Politbusiness zurückgetreten Marina Weisband zeigt, wie schnell der verborgene Sexismus der Medien, die allzu schnelle Konzentration auf eine (weibliche) Person und nicht zuletzt auch der Versuch von Parteien, durch "Vorzeigefrauen" den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit zu entkräften, hier eine unheilige Allianz eingehen, die nicht nur für die davon betroffenen Frauen, sondern auch für die Parteien wie auch für die Medien gleichermaßen entlarvend wirken. Daher ist es umso wichtiger, keine Frauenquote der Quote willen einzuführen, sondern letztendlich, so wie es auch bei der Frauenquote gedacht war, auf Kompetenz zu achten. Davon profitieren alle Beteiligten gleichermaßen.

Die Piratenpartei, die dem Hype um Frau Weisband zusah, wird noch einige Zeit an deren Weggang zu knabbern haben, es bleibt zu hoffen, dass einerseits der Umgang mit nachrückenden Piratinnen nicht ähnlich kritiklos und anhimmelnd wie bei Marina Weisband stattfindet, dass andererseits aber auch mehr und mehr Frauen sich gegen derart sexistische Medienbegutachtung wehren und öffentlich darüber sprechen, so wie es Frau Weisband tat. Die Parteien aber, egal ob Piratenpartei oder nicht, sollten sich davor hüten, das Geschlecht vor der Kompetenz zu betrachten. Die Tatsache, dass sowohl die Ehefrau von Gerhard Schröder als auch die von Franz Müntefehring in die Politik drängen, lässt allerdings vermuten, dass diese von der Partei hofiert werden würden. Als "Obersozialdemokratin" mit "blassem Ausschnitt und goldenem Kreuzchen" vielleicht?