Und dann ist es zu spät...

Außer Kontrolle

Was man nicht alles tun müsste, muss, sollte, könnte oder auch nicht...

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Das Schöne an diesem Blog ist, dass Telepolis einem Narrenfreiheit (zumindest weitgehend) gewährt. Filmkritik oder Buchvorschlag, ob Persönliches oder Allgemeines - erlaubt ist es, sofern es sich nicht völlig OT bewegt. Obgleich auch das natürlich Auslegungssache ist.

Daher - sorry, liebe Redaktion - nutze ich das heute auch schamlos aus, um mir Persönliches von der Seele zu schreiben. Es ist schon seltsam, dass ich gerade gestern erst sagte, dass mir die Zeit einfach zu kostbar ist, um manches nicht zu sagen oder aber so zu tun, als würde ich manches nicht fühlen. Ich bin jetzt 39 und dank diverser Macken tickt sozusagen die Uhr und jedes Mal, wenn ich etwas nicht direkt sage, denke ich irgendwie: "Mädel, rück einfach raus mit der Sprache und gut - wäre doch schade, wenn es morgen nicht mehr geht."

Ich habe bisher, trotz allem, Glück gehabt, keine Frage, aber trotzdem - manches sagt man einfach nicht, weil es zu blöd, zu direkt, zu schräg, zu aufdringlich oder zu nervig klingt. Also hält man den Mund. Ich zumindest. Seltsam, aber gerade die Leute, die ich kenne, die beim Thema Bürgerrechte den Schnabel aufreißen, sind im Privatleben diejenigen, die nichts "auf die Kette bekommen", die monatelang nur "ähm..." stammeln, nur um dann irgendwann zu merken, dass sie längst hätten sagen können, was mit ihnen los ist.

Heute ist jemand gestorben, den ich als Freund kannte, der mir oft auf die Nerven ging, den ich daher nicht dauernd angemailt, den ich oft genug ignoriert habe. Und jetzt ist er fort. Für immer. Das ist ein seltsames Gefühl, denn zur gleichen Zeit weiß ich, dass jemand, den ich von Herzen liebe, auch bald gehen wird und ich kann nichts dagegen tun. Ich bin dann sauer auf Leute, die sagen "Ich müsste sie mal besuchen", weil ich denke: "Dann besucht sie doch, redet nicht drüber." Andererseits kriege ich auch manches nicht auf die Kette und schiebe so vieles vor mich hin, kriege die Klappe nicht auf, nur um dann festzustellen, dass es zu spät ist, um etwas zu ändern.

Ich habe festgestellt - und stelle es jetzt auch fest, wo ich vor mich hin schniefe und heule -, dass es eine Menge Menschen gibt, die mich mögen, die mir helfen und die ich auch mag. Ich stelle aber auch fest, dass ich es oft genug nicht schaffe, auch zu sagen, wen ich mag oder auf Angebote zu reagieren etc. Dann ärgert mich das alles, ich bin genervt, ängstlich, frustriert und weiß nicht weiter. Dann denke ich immer: Wie blöd kann man sein? Oder auch: Es müsste doch so einfach sein.

Dies ist auch der Grund, warum ich mich oft mit meinen Macken, meinen Psycho-Problemen usw. nach vorne wage - einfach um zu sagen: "Hey, wer immer da draußen dies auch liest und sich nicht traut, xy zu tun, wer immer welche Macke auch immer hat, du bist nicht allein..." Das verträgt sich nicht mit dem, was viele unter Datenschutz verstehen, ich weiß, aber ich denke, es ist einfach meine Art der informationellen Selbstbestimmung.

Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen den Weg finden, anderen zu sagen, dass sie sie mögen, bevor es irgendwann nicht mehr geht - auch wenn sie sich vielleicht dabei dumm fühlen oder tapsig oder was auch immer. Und dass auch viele, trotz VDS und all den Überwachungsmöglichkeiten, sich trauen, über ihre Macken und Probleme zu reden und sich vielleicht helfen zu lassen oder einfach nur etwas Zuneigung, Hoffnung oder gar Liebe zu suchen. Und nicht so manche Gelegenheit verstreichen lassen. Ich hoffe, dass auch oder gerade andere Nationalitäten, Interessen oder was auch immer keine Rolle dabei spielen, dass einfach jemand dem anderen sagt "hey, ich mag dich" oder "hey, ich liebe dich", dass immer weniger Menschen denken "verdammt, hätte ich das dem- oder derjenigen mal gesagt... jetzt ist es zu spät".

Gute Nacht und sorry für das Persönliche, es musste aber sein. Und ein Danke an alle, die da waren, sind und sein werden - und die hoffentlich auch in ihrem Leben glücklich, nie einsam oder allein sind. Oder denen zumindest irgendjemand hilft so wie mir Menschen helfen.

Ich würde mich freuen, wenn dieser und ähnliche Blogbeiträge, egal wie OT sie sind, auch einfach ab und an helfen um Menschen einander näher zu bringen.

Twister