Im tiefen Tal der Superdeppen

Außer Kontrolle

"Hier steh ich nun, ich armer Tor. Und bin so klug wie auch zuvor." Die Bundesregierung hat eigentlich kaum einen Schimmer, woher die Zahlen zu dem Thema Kinderpornographie kommen etc. Warum auch? Gesetze kann man ja auch so initiieren.

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Gestern war ein grandioser Tag. Bei selbstgemachtem Holundersekt und frischgebackenem Gierschbrot saß ich im Garten und plauderte am Telefon mit jemandem über Proust, Tucholsky und dergleichen. Ein paar angelesene Zitate, ein paar vielsagende "hmmms" und mein Gesprächspartner und ich waren uns einig, was die Literaten anging. Gut, in Wirklichkeit habe ich Proust nie gelesen, das Buch von Tucholsky (ein Geschenk eines Freundes) setzt Staub an weil ich es bei jedem Leseversuch auf Grund meiner Intelektuellenphobie und dem antrainierten Klassendenken sofort wieder ins Regal stelle, aber mit ein paar Basisinfos und vielsagenden "Hm", "na ja...", "also ich weiß nicht..." kann man sich bequem beim Smalltalk durch den Dschungel des Intelektuellentums hangeln. Nichtsagende Brummlaute werden da zur rettenden Liane.

Nur vorab: mein Gesprächspartner hat letztendlich schallend darüber gelacht und versucht, mir Tucholsky näher zu bringen (er ist gescheitert). Dies soll auch nur als kleine Anekdote dienen - immerhin gebe ich ja zu, von manchen Dingen so gar keine Ahnung zu haben. Betrüblich wäre es, wenn ich jetzt versuchen würde, irgendein Gesetz durchzupauken, ohne dass ich überhaupt nur irgendwelche Fakten habe.

Deshalb schwanke ich auch zwischen Belustigung, tiefer Trauer, Wut und Fassungslosigkeit, wenn ich die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Abgeordneten (u.a. Otto, Waitz etc.) lese.

Für all jene, die die letzten Wochen/Monate im Winterschlaf verbracht haben: Frau von der Leyen hat es nicht nur geschafft, Geheimverträge mit Providern abzuschließen, in denen sich die Provider verpflichten, Webseiten auf Zuruf des BKA zu sperren, nein, auch das passende Gesetzesvorhaben nimmt Formen an. Dabei wird elegant mit Zahlen jongliert, die so aus den Fingern gesogen sind, dass man förmlich den Nagellack der Damen von der Leyen sowie der Damen von Innocence in Danger noch riecht.

Aber wen interessieren schon Zahlen, Fakten und Daten, wenn es um die Kinder geht? Die meisten Antworten der Bundesregierungen bestehen denn auch aus dem Satz "hierzu liegen uns keine Erkenntnisse vor".

Egal ob es um die Aussage "in vielen Ländern steht Kinderpornographie nicht unter Strafe bzw. wird nicht verfolgt", um "wieviele Server mit Kinderpornographie stehen in Ländern, in denen Kinderpornographie nicht strafbar ist" [...] handelt, stets schaut die Bundesregierung mit kugelrunden Kinderaugen in die virtuelle Runde und hat so wirklich Ahnung von gar nichts. Woher kommen also die Zahlen, mit denen Frau von der Leyen um sich wirft als wären es Karamelbonbons zu Fastnacht? Teilweise von den Kinderschutzorganisationen wie "Innocence in Danger", die nicht zuletzt auch ihre Daseinsberechtigung davon ableiten, dass es die von ihnen proklamierten Probleme gibt. Ach ja - "Innocence in Danger" sind übrigens auch jene, die zusammen mit Ecpat, Unicef und Save the children die Nachfolgekonferenz zum Weltkongress in Rio ausrichten.

Das Thema ist "Schutz vor sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mit Fokus auf den neuen Medien". Und wer sich jetzt seinen Teil nur denkt: "der Fokus auf den neuen Medien" sagt eigentlich alles über das Engagement dieser Kinderschützer aus, die wahrscheinlich befürchten, sich die Hände schmutzig zu machen, wenn sie sich einmal mit der sexuellen Gewalt im realen Leben zu befassen. Passt sicherlich auch nicht so richtig als Thema bei der nächsten Charitygala der Damen und Herren von "Innocence and Danger" (pun intended), wenn da solch Themen wie Armut in Deutschland, Kinderarmut, Problematik der neuen Statussymbole, sexuelle Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen, Missbrauch innerhalb staatlicher Einrichtungen und nicht zuletzt sexuelle Gewalt innerhalb von Familien aufkommen.

Die gesamte Antwort findet sich hier.

So wie ich gibt die Bundesregierung wenigstens zu, dass sie keine Ahnung hat. Das Problem ist nur: das hindert weder Frau von der Lügen noch ihre Freunde und Unterstützer daran, weiter schamlose Lügen und Phantasiezahlen zu verbreiten, die dann auch den letzten Kritiker hoffentlich irgendwann verstummen lassen. Die SPD jedenfalls hat gestern mitgeteilt, dass eine Einigung bei den Fragen der Kinderpornosperren erzielt wurde. Das Gesetz rückt immer näher - ein Gesetz, das ein Problem regen soll, von dem anscheinend niemand weiß, wie groß es überhaupt ist. Und derweil werden Probleme, bei denen man dies sehr gut sehen kann, ignoriert. Aber warum auch was gegen aktuelle Probleme tun, wenn man damit beschäftigt ist, auf einfache Art Publicity zu bekommen und zeitgleich noch darauf warten kann, die Sektflaschen knallen zu hören bei einem Lobbyisten, der schon seit Jahren versucht, seine Filter gegen Bombauanleitungen und Co. an den Mann bzw. die Regierung zu bringen?