Raus aus der Hängematte, ran an die Kisten

Außer Kontrolle

Schluss mit der Vollkaskomentalität - die Telenovela "Harry Hatz auf dem Weg ins Glück"

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Der Tag der Arbeit ist vorbei, aber dennoch gibt es keinen Grund, sich von der Arbeit als Lebenszweck zu entfernen. Dass es natürlich gerade im schwarz-rot-gelben Deutschland nur so von den parasitären Faulenzern wimmelt, die entweder zuviel (schwarz)arbeiten oder aber zu wenig, ist genauso klar wie die Tatsache, dass Kinderpornographie ein Milliardengeschäft ist. Einfacher gesagt: das muss nun wirklich nicht hinterfragt werden, meine Damen und Herren. Schalten wir also gleich um zu "Harry Hartz auf dem Weg zum Glück" und freuen wir uns auf eine Folge, die wieder alles verspricht, was eine echte Quotenrekordfolge ausmacht.

Erleben wir Harry Hartz, der sich, wie wir in den letzten zehn Folgen erleben durften, nunmehr [ http://www.tagesspiegel.de/berlin/sarrazin-empfiehlt-kalt-duschen/1711270.html kaltduschend] jeden Morgen das gute Berliner Wasser, was ihm von einem edlen Spedler zur Verfügung gestellt wurde, in Flaschen abfüllt und sich damit aufmacht um seine neue Geschäftsidee von der Arbeitsagentur unterstützen zu lassen. Harry, gespielt vom schwitzenden Götz-George-Lookalike Fercho Hein, gerät dabei wie immer an die lasziv-menschenverachtende Arge-Mitarbeiterin Beamta de L´Erniedrigung, wunderbar virtuos dargestellt von der ehemaligen Domina Sanktionata. Denn die Telenovela wäre keine Telenovela, würde nicht vor dem Happy End noch eine Vielzahl von Stolpersteinen auf den sehr authentisch spielenden Ex-ALG II-Empfänger Fercho Hein warten. So hat Fercho, kaum dass er seine Idee einer Selbständigkeit entwickelt hat, schlechte Karten bei der ArGe - schließlich ist durch die Bundeshaushaltsperre gerade die Chance, einen Existenzgründerzuschuss zu erhalten, noch geringer als die Chance, einen ArGe-Mitarbeiter zu finden, der bei dem ganzen Wirrwarr von Gesetzen, Anweisungen, Neuregelungen und Urteilen noch durchzusteigen.

Doch Fercho Hein, bekannt durch 1-Euro-Filmjobs wie für die Dramen "Nicht ohne meinen E-Pass", "Fahr langsam, Maut erst recht" und "SISIII, Aufstand der Datenschützer", wäre nicht Harry Hartz, würde er schnell verzweifeln. Sein in der letzten Folge urplötzlich aufgetauchter lange vermisster, behinderter Sohn, der aufwendige Pflege benötigt, lässt den gestählten ALG II-Empfänger ebenso wenig verzweifeln wie die Tatsache, dass er gerade jetzt seine Wohnung räumen muss da sie nicht den Höchstmaßen entspricht. Und so endet die Folge auch tränenreich, wenn Harry Hartz, beladen mit Kisten, Tüten und Kartons, den behinderten Sohn im Arm, die Wohnung verlässt um sich eine neue Bleibe zu suchen, die nicht zu groß ist.

Mit der Telelovela betritt man neues Land, was die Idee, ALG II-Empfänger zu mehr Eigeninitiative zu bewegen, betrifft. Nach bisher unbestätigten Informationen sollen weitere Serien wie "Für ein paar Euro mehr", "Sanktionen zum Glück" und mehr folgen, die insbesondere darstellen, wie ALG II-Empfänger mit Disziplin, Mut, Ausdauer, einem funktionierenden sozialen Netzwerk und Kraft (durch Freude) den Neuanfang wagen und schaffen.

Es bleibt zu wünschen, dass diese Message bei allen ankommt damit sich insbesondere diejenigen, die sich benachteiligt fühlen, sich als Opfer gerieren, den Staat als Vollkaskoversicherer ansehen oder ihre Erwerbstätigkeitslosigkeit als systemisches Problem ansehen, aufraffen und wieder auf die Kerntugenden der schwarz-rot-gelben Bundesrepublik besinnen, zum Beispiel Ehrlichkeit oder Sparsamkeit.

Harry Hartz jedenfalls, so schreibt es das Drehbuch vor, wird nach langem Leidensweg durch seinen Mut und seinen Einfallsreichtum mit einem Top-Job belohnt und sieht sich am Ende der Telenovela als erfolgreicher Rapper, Casting-Show-Moderator und Banker für seine Ausdauer (man ahnt es) belohnt. Und wenn er dann, den behinderten Sohn in einem, die Nanny im anderen Arm, die Finger zum Victory-Zeichen formt, dann wissen Heerscharen von ALG II-Empfängern: das ist einer von uns, er hat es geschafft, wir koennen das auch. Da verzeiht man dann auch fast die dramaturgischen Schwächen der Serie - denn dass ein ALG II-Empfänger als zumutbare Arbeit einen Job als Soldat in Afghanisthan annimmt und Bin Laden fängt (was zu einer Prämie in Höhe von 1000 Euro führt, die natürlich mit ALG II verrechnet wird), das ist ja noch gerade glaubhaft, dass aber eben dieser Job Harry Hartz mit einer Frau zusammenführt, die in Deutschland nach dem Burkaverbot als Stripperin (zumutbare Arbeit) erfolgreich eine Ich-AG startet, das ist nicht mehr wirklich nachvollziehbar. Endgültig gleitet die Telenovela aber in das Fiktionäre ab als sich Harry Hartz mit einem Politiker unterhält, ohne dass eine Kamera in der Nähe ist. Hier ging wohl die Phantasie mit den Drehbuchscheibern durch. 1-Euro-Kräfte eben...