Boston Consulting Group erwartet generellen Schuldenerlass

Sobald sich die aktuellen Maßnahmen gegen die Schuldenkrise als wirkungslos erwiesen haben, werden radikalere Lösungen kommen müssen, etwa eine einmalige Vermögensabgabe und die weltweite Streichung übermäßiger privater und öffentlicher Schulden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die weltweit führende Wirtschaftsberatung Boston Consulting Group (BCG) hat sich Gedanken gemacht, was aus den Schulden Europas und der USA werden könnte, sollten die aktuellen Lösungsversuche ihr absehbares Scheitern erleben.

In einer vom Finanzblog Zerohedge online gestellten Analyse versuchen sich die BCG-Experten an einer "realistischen Analyse". Demnach würden die Politiker derzeit beim Versuchen, das Problem übermäßiger Schulden zu lösen, auf Zeit spielen, was scheitern müsse. Denn entweder müssten für die westliche Welt nun schnell hohe Inflationsraten erreicht werden oder es würde ein systematischer und umfassender Schuldenschnitt organisiert, wobei sich die Problematik bei weitem nicht nur auf die Staatsschulden beschränke. Die BCG-Experten sorgen sich ebenso um die Schulden von Haushalten und Unternehmen, die allesamt drastisch reduziert werden müssten, damit die westliche Welt wieder auf Wachstumskurs gehen könne.

Die Politik würde zwar generell die Inflationsvariante bevorzugen und einige Politiker insgeheim bereits darauf hinarbeiten, nur sei es "so gut wie unmöglich, in einer Bilanz-Rezession (in der ein oder mehrere Wirtschaftssektoren Konsum und Investitionen zurückfahren um ihre Verschuldung zu senken, Anm.) steigende Preise durchzusetzen". Absehbar sei weiteres "Durchwursteln" und eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse, so dass letztendlich derart radikale Maßnahmen salonfähig werden könnten, wie sie die BCG nun diskutiert.

Die Experten erinnern also an die Sitte im antiken Mesopotamien, wo jeder neue Herrscher seine Regierung mit einem allgemeinen Schuldenerlass begann. Auch im alten Testament ist dies alle 50 Jahre vorgeschrieben.

Schließlich gehe es darum, 25 Jahre an kreditfinanzierter Expansion zu korrigieren, die häufig auch von Immobilienblasen begleitet waren. Ein "normaler" Schuldenabbau könnte hingegen mehr als zehn Jahre dauern und werde zudem durch die Überalterung der Bevölkerung erschwert. Allerdings sehe es ohnehin mehr danach aus, dass in Europa die Gesamtverschuldung weiterhin schneller ansteigt als das Sozialprodukt.

In ihrer Analyse gehen die BCG-Experten in Anlehnung an BIZ-Analysen davon aus, dass die Schulden der Haushalte, Unternehmen und des Staates jeweils maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen dürften, um nachhaltig zu sein, bzw. insgesamt 180 Prozent des BIP nicht übersteigen sollten (unter den Annahme von nominell drei Prozent BIP-Wachstum und fünf Prozent Marktzinssatz). Daraus errechnet sich für die Eurozone ein Schuldenüberhang von 6,1 Billionen, für Großbritannien von 1,25 Billionen und für die USA von 8,24 Billionen Euro, der auch nicht durch künftig höhere Wachstumsraten abgebaut werden könne, weil die Schulden inzwischen so hoch sind, dass sie die Wachstumsraten reduzieren.

Folglich bleibe am Ende nur ein kontrollierter Schuldenschnitt, der jeweils auf die am stärksten verschuldeten Sektoren konzentriert sein sollte. Recht einfach ginge das etwa in Italien, wo vor allem der Staat verschuldet ist und allein mit einem "Haircut" von 47 Prozent auf die Staatsschulden die 180-Prozent-Schwelle unterschritten würde. Bei den Privatschulden wäre indes der Hypothekarbereich der erste Kandidat für eine Schuldenstreichung, ebenso könnten Konsumkredite um einen fixen Prozentsatz reduziert werden. Im Unternehmensbereich fände sich die höchste Überschuldung bei den Immobilienentwicklern, wo eine "geordnete Restrukturierung" erforderlich sei.

Unter der Annahme, je die Hälfte der Schulden würden von Banken und Versicherungen gehalten, müssten die europäischen Banken insgesamt rund zehn Prozent ihrer Bilanzsummen abschreiben, wodurch freilich der europäische Bankensektor in Summe pleite wäre. Dabei müssten Banken, die beispielsweise Kredite an Deutschland vergeben haben, 18 Prozent davon in ihrem Wert berichtigen; bei an portugiesische Unternehmen vergebenen Krediten würden sich die Abschreibungen hingegen auf 57 Prozent belaufen. Das würde das Aktienkapital der meisten Banken auslöschen, die (laut BCG vom EFSF) rekapitalisiert und verstaatlicht werden müssten und erst nach einer umfassenden Restrukturierung wieder privatisiert werden könnten. Bei den Versicherungen wären hingegen vor allem die Kunden betroffen, für die die Schulden gehalten werden, wobei wiederum der EFSF mit Kapitalhilfen einspringen müsste.

Zur Finanzierung des Schuldenabbaus stellen sich die BCG-Experten eine einmalige Steuer auf Finanzanlagen vor, die etwa alle Vermögen über 100.000 Euro betreffen können. Das wäre auch insofern nicht ganz unfair, weil damit der Tatsache Rechnung getragen würde, dass die meisten Finanzanlagen nicht das wert sind, was ihre Eigentümer annehmen, weil die Schuldner ihren Verpflichtungen nicht nachkommen können.

bcg.JPG
Grafik: BCG/Zerohedge

Für die meisten Staaten würde eine einmalige Steuer von elf (Deutschland) bis dreißig Prozent auf die vom Privatsektor gehaltenen Finanzanlagen ausreichen, um die Gesamtschulden unter 180 Prozent des BIP zu drücken. In Portugal, Spanien und Griechenland wären hingegen substantiell höhere Steuersätze erforderlich, während Irland selbst dann noch 13 Prozentpunkte über dem Limit läge, würde das gesamte Finanzvermögen des Haushaltssektors konfisziert. Aufgrund dieser Ausreißer liegt für die Eurozone dieser Bedarf mit 34 Prozent auch deutlich höher als in Großbritannien (27%) oder den USA (26%). An weiteren Steuern halten die Autoren vor allem eine Immobiliensteuer für sinnvoll, die allerdings weniger die Substanz als die Erträge der Immobilien abschöpfen sollte.

Laut BCG wäre es zudem sinnvoll, wenn die weniger stark verschuldeten Länder wie Deutschland, Frankreich oder Holland einen überproportionalen Anteil an den Lasten tragen würden. Das wäre politisch zwar schwer durchsetzbar, würde aber den Banken und Versicherungen dieser Länder helfen. Nach dieser einmaligen Vermögenskonfiskation sollten laut BCG dann allerdings die laufenden Vermögenssteuern abgeschafft werden, es bestünde für die entschuldeten Staaten zudem wieder Spielraum für die Senkung von Einkommenssteuern, um das Wachstum zu stimulieren.