Die perfekten Nicht-Linearen

Die Stanislaw-Lem-Adaption „Testflug zum Saturn“ auf DVD

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Er war das perfekte Beispiel für den schriftstellernden Philosophen: Stanislaw Lem (vgl. seine Telepolis-Kolumnen) hat sich zeitlebens weniger als Science-Fiction-Autor, denn als Konstrukteur fantastisch-philosophischer Texte verstanden. Seine Erzählungen um den Commander Pirx gehören zu den filmisch meist-adaptierten Texten. Jetzt ist einer dieser Filme wieder auf DVD zugänglich.

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Ausschnitt aus der DVD

Marek Piestraks "Testflug zum Saturn" entstand als polnisch-russische Koproduktion nach dem es bereits eine ungarische TV-Serie um den leitmotivisch eingesetzten Lem-Helden Commander Pirx gegeben hatte. Aufmerksam ist man der westlichen Filmwelt auf Lem jedoch schon 1972 durch Andrej Tarkowskis Adaption des Romas "Solaris" geworden. In "Solaris" (1961) hatte Lem bereits die Frage nach der Conditio humana im Rahmen eines utopischen Settings aufgeworfen. Sein Erzählung "Die Verhandlung" von 1968 geht das Thema von einer anderen aber doch ähnlichen Seite an: Wie gestaltet sich das Zusammenleben mit künstlichen Menschen?

In "Testflug zum Saturn" werden Roboter, so genannte "Nicht-Lineare", von der UNO (!) als mögliche Surrogate für Menschen in gefährlichen Situationen angedacht. Um in der Praxis zu erproben, ob sie dem Menschen tatsächlich überlegen sind, soll eine Mission zum Saturn geschickt werden, die zum Teil aus Menschen, zum Teil aus Nicht-Linearen besteht - geführt durch den Commander Pirx, dem nicht verraten wird, wer aus seiner Besatzung künstlich ist und wer nicht. Ziel der Mission ist das Absetzen zweier Sonden in der Cassinischen Teilung der Saturn-Ringe. Schon vor dem Abflug scheint eine geheime Partei die Beteiligung Pirx' verhindern zu wollen und bei der Weltraumreise ist der Commander beständig damit beschäftigt herauszufinden, wer Mensch und wer Maschine ist - wer auf seiner Seite steht und wer gegen ihn ist. Als es dann zu einem lebensbedrohlichen Vorfall an Bord kommt, entwickeln sich ungeahnte Konstellationen.

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Verfolgung im Raumschiff

Die Figur des Roboters ist gerade im Science-Fiction-Film der 1970er Jahren häufig zur doppelten Projektionsfläche für Verschwörungen und Technik-ethischen Fragestellungen geworden. Bekannte US-Produktionen wie "Westworld" (1973) und "Futureworld" (1976) haben das Verhältnis von Mensch und Roboter insbesondere in Hinblick auf ihre Gegnerschaft und die Frage der Überlegenheit beleuchtet. Und schon am Beginn von "Testflug zum Saturn" fühlt man sich an "Westworld" erinnert: Ein Roboter wird konstruiert, der dem Menschen so ähnlich sieht, dass er nicht mehr von ihm zu unterscheiden ist - in doppelter Hinsicht.

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Titelbild

Denn die Distinktionsfähigkeit des Commander Pirx' ist es auch, die sich schon bald zum Leitthema des Films entwickelt: Er beobachtet seine Crew auf Schritt und Tritt, bekommt beinahe von jedem Mitglied Hinweise auf die eigene Beschaffenheit oder die der Kollegen und findet schließlich sogar das "Bekennervideo" eines mitreisenden Roboters, der offen zugibt, Sabotage zu planen um so über die Menschen und ihre Hybris zu triumphieren. Anders als in "Westworld" und "Futureworld" sind die Roboter hier allerdings nicht allein negativ konnotiert, sondern werden vielmehr als Wesen mit einer "anderen Ethik", so einer der Nicht-Linearen im Gespräch mit Pirx, und ausgestattet mit Ängsten und Hoffnungen dargestellt: "Es ist besser eine Maschine zu sein als gar nichts", gesteht er dem Commander, nachdem dieser ihn nach seinen Emotionen befragt.

Dass "Testflug zum Saturn" nicht hinter den westlichen Lem-Adaptionen (von denen es bedeutend weniger gibt als Produktionen aus dem ehemaligen "Ostblock") zurückstehen muss, zeigt sich über die Komplexität des verhandelten Themas hinaus noch an der ausgeklügelten Dramaturgie, der elliptischen Erzählweise und nicht zuletzt den Schauspielern, von denen die Pirx-Figur (gespielt von Sergei Desnitsky) und die Figur des Mediziners Tom Nowak (Aleksandr Kaidanovsky, der später in Tarkowskis "Stalker" als die gleichnamige Figur bekannt wurde) am deutlichsten hervorstechen.

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Pirx beobachtet

Der halb elektronische, halb orchestrale Soundtrack vom heute vor allem als Protagonist der Neuen Musik bekannten estnischen Komponisten Arvo Pärt greift das "Hybrid"-Thema akustisch auf und veredelt den Film zusätzlich. Zwar bleibt die DVD des auf klassische Science-Fiction spezialisierten Labels "Ostalgica" hinter den Ansprüchen derzeitiger Produkte insbesondere mit ihrem etwas verwaschenen und nicht störungsfreien Bild zurück - dieses Manko wird man angesichts des Alters und der Herkunft des Materials sowie des sehr günstigen Preises der DVD allerdings gern vernachlässigen.