Schlimmer als ein Plagiat

Forschungsministerin Schavan und die Fremdwörter

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Annette Schavan, die amtierende Bundesministerin für Bildung und Forschung, sieht sich seit einigen Wochen Vorwürfen ausgesetzt, sie habe in ihrer Doktorarbeit zu "Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung" größere Teile aus anderen Texten abgeschrieben und diese nicht ausreichend gekennzeichnet. Zur Klärung dieses Vorwurfs gibt es ein eigenes Blog: SchavanPlag. Sieht man sich die dort aufgeführten Vorwürfe genauer an, dann bemerkt man einen Fehler, der gravierender ist, als das reine Abschreiben: Schavan versuchte offenbar Textstellen umzuformulieren und ersetzte dabei Fremdwörter durch andere Fremdwörter, die so ähnlich klingen - aber manchmal etwas anderes bedeuten.

So versucht sie zum Beispiel auf Seite 63 eine Stelle aus Niklas Luhmanns Aufsatz "Das Phänomen des Gewissens und die normative Selbstbestimmung der Persönlichkeit" wiederzugeben, die im Original wie folgt lautet:

"Im Bereich der sozialen Bedingungen der Konstitution von Ich-Identität kann man heute auf umfangreiche [...] Forschungen über Interaktionssysteme zurückgreifen."

Dazu ersetzt Schavan "Konstitution" mit "Konsistenz":

"Über soziale Bedingungen zur Konsistenz von Ich-Identität lassen umfangreiche Forschungen über Interaktionssysteme neue Schlüsse zu."

Luhmanns Erkenntnis gibt diese Paraphrase freilich nur sehr bedingt wieder. Dass es sich um keinen Einzelfall handelt, zeigen ähnliche Stellen auf den Seiten 93 oder 69, wo statt "Tendenz" "Instanz" und statt "aktuell" "akut" steht. Auf Seite 47 tauscht sie in einem linguistischen Zusammenhang "Reflexivität" durch "Reflexion" aus und macht damit aus einer grammatikalischen Kategorie ein Nachdenken über sich selbst. In Hochschullehrerkreisen, die Telepolis diese Entdeckung zutrugen, witzelt man deshalb schon, die Bildungsministerin sei "eine echte Konifere auf ihrem Gebiet".

Die Entdeckung wirft nicht nur ein zweifelhaftes Licht auf Schavans Doktorvater (der solche Stellen leichter erkennen hätte können, als beispielsweise die Betreuer des Freiherrn von und zu Guttenberg, die mit plagiierten, aber in sich konsistenten Texten konfrontiert waren). Auch die Fakultät für Katholische Theologie an der Freien Universität Berlin muss sich fragen lassen, was ihre Kriterien für "geisteswissenschaftliche Exzellenz" sind. Mit dieser Begründung bestellte sie nämlich Schavan 2008 zur Honorarprofessorin.