Transplantations-Journalismus

Fußballtrainer Klopp und seine Haare

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Es gibt diese Themen, deren Häufigkeitsverteilung in der veröffentlichten Meinung des bundesdeutschen Journalismus einen in der schönen Sicherheit wiegen muss, dass es uns doch eigentlich ziemlich prima gehen müsse: Wenn Zeit und Raum ist, über die Haartransplantationen eines Bundesliga-Fußballtrainers zu berichten, dann scheinen wir ja ansonsten keine Probleme zu haben.

Das lehrt ein Blick in diejenigen Gazetten, die neben Atomkriegswarnungen (Nordkorea), Bankenkrise (Zypern), Bürgerkriege (Syrien) oder sonstige Krisenherde (DSDS) auch auf das neugestaltete Oberstübchen des Dortmunder BvB-Trainers Jürgen Klopp hinzuweisen für nötig halten: Dortmund-Trainer gibt zu: "Habe mir Haare transplantieren lassen" schreibt der Focus, und das Verb "zugeben" deutet darauf hin, dass eine Haartransplantation offenbar etwas Verbotenes, Unmoralisches oder jedenfalls zu Verheimlichendes sei.

Dass der Bildzeitung die Haarverpflanzung eine Berichterstattungs-Kaskade inklusive einer intrikaten "Post von Wagner" wert ist, versteht sich fast von selbst. Besagter Franz Josef Wagner darf denn auch die Gefühlslage von Fußballdeutschland im Angesicht der neuen Trainertolle auf des tolldreisten Pudels Kern bringen, wie üblich in nicht ganz fehlerfreiem Deutsch:

"Ich muss sagen, ich bin geschockt. Schönheitschirurgie und Sie. Das ist wie Schmetterlinge fangen, Gesichtscremes auftragen, grünen Tee trinken, Bachpflanzen pflanzen, das Ommm aus dem Weltall spüren. (…) Ich weiß nicht, was jetzt alles geschieht mit uns Männern, mit unseren Haaren, mit unseren Gefühlen."

Aber auch das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtet sowohl online als auch in seiner Printausgabe über die Haarpracht des Trainers ("Die Eigenhaartransplantation des Fußballtrainers Jürgen Klopp", 16/2013, S.59).

Dramatisch sind die Auswüchse besagter Haartransplantation in Sachen journalistischer Wortspieleritis. Da wird kein Kalauer ausgelassen, solange er das Wörtchen Haar enthält: "Beauty-OP: Jürgen Klopp wechselt neue Haare ein", dichtet der Stern; "Geheimratsecken ade – Klopp hat die Haare schön", witzelt die Westdeutsche Zeitung; und auf News.de wird gekalauert: "Klopp Haare: Jürgen Klopp dopt mit Eigenhaar". Es nimmt einen schon fast wunder, dass "Haartransfermarkt”, "Haarem" oder "Haarmützel" bislang jedenfalls noch ausgelassen wurden. Beinahe nüchtern berichtet da schon die Frankfurter Rundschau ( "BVB-Trainer Klopp ließ sich Haare transplantieren").

All die Theorien und Hypothesen der Kommunikationswissenschaft zu Nachrichtenfaktoren und journalistischer Themenauswahl versagen an dem simplen Umstand, dass ein Sportlehrer mit dem nötigen Kleingeld die klingende Münze in wallendes Haupthaar verwandelt hat, was zwar niemanden etwas angeht, aber offensichtlich viele interessiert.

Was die Publikationswucht in Sachen Haartransplantation lehrt, ist, dass ein simpler schönheitschirurgischer Eingriff aus einem gefeierten Fußballhelden ein Medienopfer machen kann und in den Spalten unserer Zeitungen der Begriff Haarspalterei eine völlig neue Bedeutung gewonnen hat. Dabei wurde die simpelste Wahrheit von der schreibenden Zunft gar nicht ausgesprochen: Jürgen, es sieht gut aus!