Als Revisionsinstanz überfordert?

Juraprofessor Henning Müller kritisiert in der Affäre Mollath den BGH

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Es ist das Hauptargument der bayerischen Justizministerin Beate Merk und des ehemaligen Ministerpräsidenten Günther Beckstein: Die Entscheidungen gegen den Whistleblower Gustl Mollath seien ja vom Bundesgerichtshof "bestätigt" worden, weshalb alles seine Ordnung habe und sie sich selbst nichts vorzuwerfen hätten. Das kann man so sehen. Man kann es aber auch – wie der Regensburger Juraprofessor Henning Müller – zum Anlass nehmen, das Revisionsverfahren und die Ausstattung des BGH zu hinterfragen.

Müller hat den "tatsächlichen Umfang der Prüfung im Fall Mollath" anhand des BGH-Beschlusses vom 13. Februar 2007 (Az. 1 StR 6/07) untersucht und dabei festgestellt, dass "von einer gründlichen und transparenten Urteilskontrolle […] nicht die Rede sein" könne. Konkret begründet er diesen Eindruck damit, dass das oberste deutsche Gericht auf dem Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit die "schon in den Urteilsgründen zu Tage tretenden Beweislücken" nicht erkannte – zum Beispiel die, dass man die Zeugenaussage der Ehefrau nicht kritisch hinterfragte und offenbar nicht prüfte, ob eine behauptete "vier Jahre zurückliegende Körperverletzung [im] Streit zwischen Ehepartnern" ohne Rückgriff auf eine wahnhafte Störung" erklärt werden könnte.

Nach seiner Kurzauseinandersetzung verwarf der BGH die Revision ohne schriftliche Begründung als "offensichtlich unbegründet" nach § 349 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO), obwohl er selbst die "mangelnde Darlegung der Kausalverknüpfung zwischen psychischer Störung und Straftat" rügen musste. Müllers schlußfolgert deshalb:

Die Strafsenate des BGH sind mittlerweile aus strukturellen Gründen offenbar immer weniger in der Lage, Urteile der Tatsacheninstanzen effektiv zu überprüfen und Fehlurteile zu verhindern. Es ist leider zu befürchten, dass der Fall Mollath, der durch seine Verknüpfung mit der Hypovereinsbank und mit landespolitischem Streit nun bundesweite Berühmtheit erlangt hat, kein Einzelfall ist.

Dass die Fehler im Fall Mollath nun korrigiert werden, ist noch nicht sicher. Und wenn, dann kann das lange dauern. Die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 359 StPO muss nämlich zwei Stufen durchlaufen, bevor eine neue Hauptverhandlung angesetzt werden kann. Darin werden die angeblichen Straftaten des Nürnbergers dann erneut verhandelt. Erst danach wird über eine Fortdauer der Zwangsunterbringung im Irrenhaus entschieden.

Andere Möglichkeiten einer Freilassung schlummern im § 62 StGB (der vorschreibt, dass "eine Maßregel der Besserung und Sicherung […] nicht angeordnet werden [darf], wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht") und einer Verfassungsbeschwerde, der der Jurist Oliver Garcia angesichts eines im Oktober veröffentlichten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Freiheitsgrundrecht (2 BvR 442/12) gute Chancen einräumt.