Jenseits des Schwarz-Weiß Denkens

Ist Hirndoping im Schach möglich? Eine praxisnahe Studie sucht Aufklärung

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Der legendäre Schachgroßmeister und TV-Kommentator Helmut Pfleger unternahm 1979 einen heroischen Selbstversuch. Vor einer Partie gegen den Ex-Weltmeister Boris Spasski nahm Pfleger einen sogenannten Beta-Blocker ein - wohlgemerkt mit dem Wissen Spasskis. Beta-Blocker galten damals wie heute als probates Mittel gegen Nervosität vor öffentlichen Auftritten. Sie senken in erster Linie den Blutdruck. Pfleger verlor, wie er selber sagte, "sang- und klanglos", weil sein Puls im Keller und die Gleichmut groß war. Er testete die Substanz noch bei einigen Sportkameraden, die Ergebnisse waren seiner Aussage nach "widersprüchlich, einmal sogar eindeutig schlecht".

Schach gilt als eine der letzten dopingfreien Domänen. Die Verantwortlichen sind sich seit Jahrzehnten der Sauberkeit ihres Denksports sicher. Umso größer war die Aufregung, als das deutsche Innenministerium den Schachverbänden vor einigen Jahren nahe legte, die Anti-Doping-Statuten zu unterzeichnen. Man drohte mit dem Streichen der Fördermittel. Seit 2009 hat sich der Deutsche Schachbund dem Code der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) unterworfen. Bei den deutschen Einzelmeisterschaften der Frauen, der Männer sowie der Juniorinnen und Junioren gibt es seither je drei Kontrollen.

Über die potentiellen Möglichkeiten von Hirndoping wird viel spekuliert, aber wenig ist bewiesen. Die oft genannten Kandidaten sind, neben Koffein, das als "Ritalin" bekannte Methylphenidat und das bei Narkolepsie eingesetzte Modafinil. Keine der Substanzen konnte aber bislang ihren Ruf als Hirndopingmittel gerecht werden. Sie helfen, wenn überhaupt, nur übermüdeten Menschen, länger wach zu bleiben. Intelligenteres Handeln wurde noch nicht beobachtet.

Zusammen mit dem Internisten Harald Balló, der zudem Präsident des Hessischen Schachverbandes ist, führt die Universität Mainz nun eine interessante, weil praxisbezogene Studie durch. 40 Schachspieler werden ihrer ELO- Stärke entsprechend gegen das Schachprogramm "Fritz" antreten. Sie spielen 40 Partien Schnellschach, wobei sie doppelblind entweder Koffein, Methylphenidat, Modafinil oder einen Placebo erhalten. Jeder Spieler erhält dabei jede Substanz genau einmal. Die Dosierungen werden sich im üblichen Rahmen bewegen: 200 mg (das entspricht zwei Tassen Kaffee) bei Koffein, wahrscheinlich 200 mg bei Modafinil. Beginn der Studie ist im März, Teilnehmer werden noch gesucht. Mit den Ergebnissen ist nicht vor dem Herbst 2011 zu rechnen.

Die Untersuchung dürfte einen Einblick in das reale Potential von Doping im Denksport geben. Bislang gelten Schachpartien als zu diffizil, um mit Aufputschmitteln wie Amphetaminen positiv gelenkt werden zu können, überhastetes Handeln ist unerwünscht. Koffein ist zwar beliebt unter Schachspielern, bei hohen Dosierungen können aber die negativen Kreislaufwirkungen überwiegen, zudem kann das klaren Denken gestört werden. Eine kurze Zeit lang stand Koffein auf der Dopingliste, heute ist das Verbot aufgehoben. Das intellektuelle Ethos der Spieler ist zudem hoch, man ist Stolz auf die reine Denkleistung im traditionellen "Spiel der Könige".

Dies und wohl auch die fehlenden Kontrollen sind der Grund dafür, dass bislang auf großen Schachturnieren keine Dopingfälle bekannt geworden sind. Es wurde immer wieder vermutet, dass einige Spieler in langen Partien mit Amphetaminen nachhelfen, nachgewiesen werden konnte bislang nichts. Sollte die Mainzer Studie allerdings einen positiven Effekt von Hirndoping nachweisen, dürfte die psychoaktiven Helferlein von einigen Schachspielern sicherlich genauer in Augenschein genommen werden.