Wenig dazugelernt!

Amerikas Politprominenz zeigt sich schon wieder ziemlich kriegslüstern. Was der amerikanische Präsident vorhat, weiß man nicht so recht. Er bereitet sich vorerst auf seine Wiederwahl vor

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Aus den militärischen Abenteuern der letzten Zeit, in Afghanistan und im Irak, hat man rund um den Potomac offenbar nicht viel gelernt. Weder deren anomischer Zustand noch der auf breiter Front gescheiterte "Umerziehungsversuch" scheint einige "Schreibtischstrategen" in Washington vom Hunger nach weiteren "Humaninterventionen" abzuschrecken ( Obama vs. Israel).

Die in Libyen erfolgreich zu Ende gebrachte Luftkampagne hat bei etlichen Beobachtern Appetit und Nachahmerinstinkte geweckt. Schon seit Monaten werden darum in verschiedenen US-Zirkeln vermehrt "die Kriegstrommeln gerührt" ( Beating the War Drums Again). Mehr oder minder aufgeregt denkt man über einen preemptive strike gegen den Iran nach ( Time to Attack Iran, Not Time to Attack Iran), um das Mullah-Regime vom Bau der Atombombe abzuhalten ( The Case For Regime Change in Iran).

"When I say this is in the U.S. interest, I'm not saying this is something we'd like to solve. I'm saying this is something we have to solve." (Barack Obama, 2. März 2012)

Belege fehlen

Dabei fehlt dafür immer noch jeder "echte Beweis". Auch die diversen Expertisen, die Inspektoren in den letzten Jahren verfasst haben, lieferten keine eindeutigen Belege. Noch vor ein paar Tagen stellte der amerikanische Geheimdienst CIA laut New York Times fest, dass das Land kein solches Geheimprojekt ( U.S. Agencies See No Move by Iran to Build a Bomb) verfolge.

Der Iran habe das militärische Atomprogramm, sollte er jemals eins im Sinn gehabt haben, längst eingestellt. Damit bestätigt die Behörde erneut einen Bericht, den die Behörde bereits 2007 für die damalige Bush-Administration angefertigt hat.

Apokalyptische Reiter

Israels Regierung und das politische Establishment in Washington kennen diese Berichte natürlich auch. Statt sie aber mit Genugtuung zur Kenntnis zu nehmen, sich in der Wortwahl zu mäßigen und den Iran als "Stabilitätsfaktor" in der Region´ anzuerkennen, wird die Drohung eines nuklear bewaffneten Irans in apokalyptischen Bildern gemalt.

Obwohl ein Angriff nach Expertenmeinung den Interessen der USA und denen Israels eher schaden als nützen könnte ( The Worst Case For War With Iran) und laut Brzezinski "ein moderater Iran mit Nuklearwaffen leichter zu behandeln ist als ein Iran, der ständig heimlich danach strebt", stört die "Kriegstrommler" anscheinend schon die Aussicht, dass der Iran sich die Option vorbehalten will, später mal eigenständig darüber zu befinden, ob er die Bombe bauen will oder nicht.

Die strategische Ungewissheit, die das Land dadurch in der Region und bei seinen Nachbarn schafft, ist daher eher machtpolitisch begründet. Sie hat weniger Israel als Saudi-Arabien im Focus und zielt auf die sunnitische Vorherrschaft am Golf, darauf, später selbst mal Vormacht im Nahen und Mittleren Osten zu werden und den Einfluss der Schiiten auf diese Weise zu mehren ( The New Hegemon).

Kriegsdrohung

Beim jüngsten Besuch des israelischen Regierungschefs im Weißen Haus dürfte es folglich weniger um das Ob, als vielmehr um das Wie und Wann einer Militäroperation gegangen sein. Noch vor Jahresfrist hatte der US-Verteidigungsminister Leon Panetta gegenüber Agence France-Press erklärt: "If they proceed and we get intelligence that they’re proceeding in developing a nuclear weapon, then we will take whatever steps are necessary to stop it."

Unklar ist, ob es dem US-amerikanischen Präsidenten gelungen ist, Benjamin Netanjahu, der als Speerspitze einer solchen Kampagne gegen den Iran gilt, von einem militärischen Alleingang schon im Sommer abzuhalten und ob bei einem solchen Vorpreschen des Israelis die "besondere Beziehung" zwischen beiden Ländern auf dem Spiel stünde ( Threat to the Special Relationship).

Unklar ist aber auch, welche Haltung Obama, der vor drei Jahren in Oslo noch den Friedensnobelpreis in Empfang genommen hat, diesbezüglich einnimmt, ob er den Israeli von einem Militärschlag überhaupt abhalten will oder ob er nicht doch lieber die Angelegenheit selbst oder im Verbund mit Israel erledigen möchte.

Die Position, die der US-Präsident bislang in seinen Äußerungen vertritt, ist eher diffus, zwiespältig und zaudernd. Mal gibt er der Diplomatie den Vorzug und setzt gemeinsam mit Europa auf Sanktionen und den Boykott iranischer Ölausfuhren; mal müht er sich mit Russland und China um ein gemeinsames Vorgehen und erklärt dann doch öffentlich, alle Optionen lägen auf dem Tisch.

Die Töne, die er noch kurz vor dem Besuch Netanjahus anschlug, klangen wiederum sehr markig und entschlossen. Sollte der Iran nicht kooperieren, werde er nicht zögern, ihn notfalls mit Gewalt am Atombombenbesitz hindern. "Er bluffe nicht", erklärte er gegenüber dem Magazin The Atlantic ( Obama to Iran and Israel: 'As President of the United States, I Don't Bluff').

Machtverlust

Über die Vorgehensweise scheint man sich derweil uneins zu sein. Zu einer Übereinkunft, wer was wann und mit welchen Mitteln unternimmt, kam es ersichtlich nicht. Bekannt wurde, dass es zu Differenzen zwischen den beiden Staatsmännern gekommen ist, wie man auf die "iranische Drohung" erfolgreich reagieren sollte ( Netanyahu Says U.S. and Israeli 'Clocks' Differ on Iran’s Threat), mit weiterem Abwarten oder einem baldigen Militärschlag.

Es ist ja nicht so, dass Israel, wie allerorten kolportiert wird, wegen einer iranischen Bombe um seine "Existenz" fürchten müsste. Pakistan hat sie längst und im Konflikt mit Indien wirkt die Bombe eher mäßigend und "disziplinierend" - auf beide Länder. Israel geht es wohl eher um den Erhalt und die Verteidigung der eigenen Machtposition in der Region. Die könnte das kleine Land jedoch rasch verlieren, wenn ihm der exklusive Zugriff auf die Bombe entgleitet.

Tauschgeschäft

Tatsache ist, dass der beginnende Wahlkampf, den Obama bis Anfang November begleiten und der ihn bis dahin in Anspruch nehmen wird, seinen Aktionsradius stark einschränken wird. Nach Ansicht einiger Experten könnte dieser Umstand den israelischen Premier durchaus zum sofortigen Losschlagen animieren.

Die Meldungen, wonach die USA bereit sind, den Israelis Tankflugzeuge und Bunker brechende Waffen zu liefern, wenn der israelische Premier vor der US-Wahl darauf verzichtet, deuten aber eher auf Zeitgewinn und einen Kuhhandel zwischen den beiden Staaten hin.

Diese sind nämlich von Nöten, um eine Attacke, die von Militärexperten skeptisch beurteilt wird ( Ein Angriff auf den Iran wäre sinnlos), auf die gut hundert Meter unter der Erde vergrabenen Atomanlagen erfolgreich gestalten zu können.

Zu befürchten wäre dann allerdings, dass die ganze Region auf Jahre hin "in Chaos und Krieg" versänke, wie Frank Walter Steinmeier jüngst bei seinem Besuch in Israel nochmals betont hat. Laut Horst Teltschik würde sie einen "Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten" auslösen, der einem "Alptraum" gleichkäme.

Syrien angreifen

Auch die Causa Syrien, engster und letzter Verbündeter des Iran, der gerade mächtig in den Seilen hängt, hat Ende letzter Woche eine neue, militärische Note erhalten. Als erster US-Politiker von Rang hat sich John McCain, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses der Republikaner und republikanischer Gegenspieler Obamas bei der letzten Präsidentenwahl, aus der Deckung gewagt.

In einem Vortrag, den er vorm außenpolitischen Ausschuss des Senats in Washington gehalten hat, forderte er den Präsidenten auf, endlich seine Zurückhaltung abzulegen und die Luftüberlegenheit der USA zu nützen ( It's Time to Use American Airpower in Syria), um den syrischen Präsidenten Assad in den Arm zu fallen.

Abschlachten stoppen

Das Gemetzel, das seit einem Jahr Tausenden von Syrern das Leben gekostet habe, gehe trotz aller Sanktionen und Appelle unvermindert weiter. Syrien sei nicht nur ein Verbündeter des Iran, es bedrohe auch seit Jahrzehnten Israel und unterstütze palästinensische Terroristen. Zudem sei das Regime für den Tod Hunderter von Amerikanern verantwortlich. Während des Irak-Krieges habe das Regime nichts gegen ausländische Kämpfer unternommen, die über ihre Grenze in den Irak eingesickert wären. Obama verspiele seinen moralischen Kredit und die Werte und Ideale Amerikas, wenn er Assads "Mördermaschine" nicht stoppe.

Um die Bevölkerung vorm weiteren Morden zu schützen, schlägt der ehemalige Gouverneur von Arizona vor, mithilfe der US-Luftwaffe vor allem im Norden des Landes "Flugverbotszonen", "humanitäre Korridore" und "Rückzugsgebiete" einzurichten, in denen die Rebellen unter Anleitung ausländischer Militärberater trainieren, mit Waffen versorgt und "politische und militärische Aktionen" gegen das Assad-Regime planen und durchführen könnten.

Ein Mandat des UN-Sicherheitsrates, das China und Russland auf absehbare Zeit verhinderten, sei dafür seiner Ansicht nach nicht notwendig. Schließlich habe die Nato 1999 auch im Kosovo interveniert, ohne dass die Allianz von diesem Gremium dazu autorisiert gewesen wäre. Für eine solche Militäroperation genüge es, eine Großzahl von Verbündeten zu gewinnen, die arabische Liga, willige Europäer und vor allem die Türkei.

Im libyschen Stil

Vor ein paar Tagen hat Jonathan Teppermann, der Geschäftsführer von Foreign Affairs, noch eine Schippe draufgelegt und die US-Regierung gar zum "großen Schlag" gegen Assad aufgefordert. "Flugverbotszonen", "Waffenlieferungen" und "Rückzugsgebiete würden das Morden nur verschlimmern und den Bürgerkrieg im Land forcieren. "The problem is that merely arming the rebels is unlikely to end the conflict, and could well fuel the fire."

Darum sei es an der Zeit, dass der Westen im "großen Stil" einschreite. "It’s time for the West to step in", schrieb er in einer Kolumne für die New York Times ( The Perils of Piecemeal Intervention). Der einzige, beste und sicherste Weg, um das Morden zu beenden, sei, Assad und seine Regierung durch eine groß angelegte Luftkampagne zu Fall zu bringen. Der Luftattacke müsste nicht notwendigerweise Kampf- und Bodentruppen folgen wie im Irak. Eine Konfrontation mit dem Iran brauche man nicht zu fürchten, da dieser derzeit vorwiegend mit sich selbst beschäftigt sei.

Eine solche Operation, dessen ist sich Teppermann durchaus bewusst, wäre weder leicht noch billig. Sie wäre womöglich auch sehr verlustreich, da der Widerstand des syrischen Militärs gewiss nicht so leicht zu brechen ist ( Can the Syrian regime crush the uprising? Yes, suggests history) wie der von Gaddafi, den vielen Möchtegern-Interventionisten sich jetzt zum Vorbild nehmen. Zudem wären die Folgen nicht nur "sehr chaotisch und unüberschaubar", auch eine Stabilisierung des Landes würde viel Zeit in Anspruch nehmen. In Syrien stehen sich diverse religiöse Gruppen und Ethnien feindlich gegenüber, Araber und Kurden, Sunniten, Drusen, Alawiten und Christen, um nur die wichtigsten zu nennen. Eine Sturz Assads würden den Konflikt unter diesen Vielheiten gewiss anheizen. Ein Vergleich mit Jugoslawien und den Ereignissen nach dem Tod Titos bietet sich an. Wozu das geführt hat, dürften noch viele wissen.

Wer regiert?

Die zentrale Frage, was nach einem Sturz Assads in und mit Syrien passiert, wer Ansprechpartner ist und künftig das Land regieren wird, kann weder Teppermann noch John McCain beantworten. Die Gegner Assads sind nicht nur gespalten und untereinander zerstritten, sie trauen sich auch gegenseitig nicht über den Weg. Teilweise werden sie von "zwielichtigen" Figuren dominiert oder angeführt, von Sunniten wie Riad al-Asaad, die noch eine Rechnung mit der alawitischen Minderheit offen haben.

Hinzu kommt, dass es überaus schwierig ist, sich eine nüchterne Sicht der Lage zu verschaffen. Aufbau und Zusammensetzung der Opposition und die politische Agenda, die sie verfolgt, sind nebulös und beruhen vielfach auf Verlautbarungen und Mutmaßungen. Auf beiden Seiten wird gelogen und betrogen.

Nur ein Beispiel: Der stellvertretende Ölminister, der angeblich jüngst zur Opposition übergelaufen war, entpuppt sich mittlerweile als ein Angestellter des Ministeriums.

Nicht zufällig hat der neue tunesische Premier eine solche Intervention von außen auch als "Wahnsinn" bezeichnet. Sie würde aller Voraussicht nach zu einem lang anhaltenden Bürgerkrieg führen. Wollen kann das eigentlich niemand.