Innenminister Friedrich und die Videoüberwachung: (Belegbare) Zahlen bitte!

Außer Kontrolle

Das Bundesinnenministerium in Deutschland gibt freigiebig Zahlen zur Videoüberwachung heraus. Doch woher kommen diese?

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Ein beliebter, wenn auch eher flacher, Witz lautet:
"Herr Ober – Zahlen bitte."
"3, 18, 45..."

Das Bundesinnenministerium ist ähnlich freigiebig, wenn es um Zahlen geht, gerade auch, wenn die Zahlen die Videoüberwachung betreffen. Kaum war in Bonn eine zahn- bzw. zünderlose Bombe gefunden worden, zog Innenminister Dr. (er ist der Doktor...) Hans-Peter Friedrich seinen privaten Schrank auf, holte das beliebte "Wir werden alle sterben und brauchen mehr Sicherheit"-Püppchen aus dem Schrank und hatte auch gleich das passende Lösungspüppchen parat: Mehr Videoüberwachung. "Wir brauchen eine effiziente Videoüberwachung und Videoaufzeichnung auf öffentlichen Plätzen und Bahnhöfen", wurde der Doktor auf Spiegel Online zitiert. Ein paar verirrte Verschwörungstheoretiker mussten natürlich wieder raunen, dass die Bombe bestimmt gar nicht hätte explodieren können, was sich rein zufällig dann bewahrheitete. Die Polizei und alle Beteiligten, die den Medien wohl in die rauchenden Mikrophone texteten, dass die Bombe einen Zünder gehabt hätte, war auch nach dem Vorfall stets so beschäftigt, dass bisher keiner dazu Stellung nahm, wieso denn der zahnlose Tiger hier als Beinahekatastrophe seinen Weg in die Medien fand.

Aber nicht nur die Beinahekatastrophe, auch ein paar Zahlen fanden ihren Weg in die Medien, die auch schleunigst die Akzeptanz der Videoüberwachung in ähnliche Höhen trieb wie die Angst vor dem Ende der Welt 2012 die Hamsterkäufe (die insofern bereits ein Phänomen waren, da gerade diejenigen, die vom Ende der Welt ausgingen, für die Zeit danach noch Hamsterkäufe tätigten, was ggf. noch bei den Zeugen Jehovas sinnig gewesen wäre, ansonsten aber doch eher für eine seltsame Ansicht des "Endes der Welt" spricht, sofern man dieses nicht REM-mäßig interpretiert). Die Umfragen jedenfalls meldeten eine geradezu überwältigende Befürwortung der Videoüberwachung – nur 16% der Befragten waren dagegen.

Tatsächlich, so plauschte Doktor Friedrich gegenüber dem Spiegel, sei ja die Videotechnik und der Videobeweis insbesondere besonders nützlich. "Seine Sprecherin führte als Beleg des Nutzens einer stärkeren Überwachung Zahlen an: Im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 30. April 2012 seien mittels Videotechnik 3.639 strafrechtliche Delikte entdeckt worden. Durch den Videobeweis hätten 1.230 aufgeklärt werden können. Dies sei eine Aufklärungsquote von fast einem Drittel der entdeckten Delikte." So hieß es in der TAZ.

Wer will dazu dann schon nein sagen? Einige Berufsquerulanten vielleicht?

Auftritt Michael Ebeling vom AK Vorrat, der doch gerne gewusst hätte, woher diese Zahlen rühren. Und hier zeigte sich Dr. Friedrich einem anderen Doktor ebenbürtig, der Vertrauen einfordert und dafür gute Gründe hat.

The Doctor: Amy. You need to start trusting me. It's never been more important.
Amy: But you don't always tell me the truth.
The Doctor: If I always told you the truth I wouldn't need you to trust me.
(Dr. Who im Gespräch mit Amy Pond in der Serie "Dr. Who")

Denn nachdem Michael Ebeling mit viel Geduld darauf wartete, doch wenigstens einen Beleg für die Zahlen zu bekommen, gab es stattdessen einen Kostenvoranschlag. 90 Euro wären für die von ihm gewünschten Auskünfte zu entrichten. Welche Auskünfte? Nun, in Bezug auf die Kosten für die Videoüberwachung, die im Bundeshaushalt zu finden sind, konnte das Bundesinnenministerium zumindest für die Zeit ab 2009, wenn auch nicht ab 1990, Zahlen in Aussicht stellen (belegbare Zahlen insofern, nicht irgendwelche). Aber woher die vom Doktor so frisch, fromm, fröhlich, frei in die Welt gesetzten Zahlen bezüglich der Aufklärungsquoten stammen... Tja, was das angeht, so darf man es mit Daliah Lavi halten: Das bleibt für immer ein Geheimnis, das weiß niemand so ganz genau...