Die Guten und die Schlechten

Neben der Spur

WikiLeaks wird von den einen abgedrängt, von den anderen unterstützt und von ein paar geduldet. Aber bald wird es kopiert werden. Denn ein neues Medienformat wurde erfunden. Das lohnt sich.

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Wenn es jemals ein Lehrstück gebraucht hat, wie Zensur im Netz versucht wird, aber keine Chance hat, dann können die Ereignisse von WikiLeaks hier weiterhelfen. Wir erinnern uns noch einmal, was bisher geschah.

Nach den grossen Wellen, die die Veröffentlichung von Dokumenten des US-Militärs bei WikiLeaks erzeugte, haben 250.000 (die meisten davon nicht als geheim eingestufte) Textfiles aus dem Umfeld der US-Diplomatie eine Kettenreaktion ausgelöst. Und die geht so.

WikiLeaks bekommt diese Dateien zugespielt und publiziert sie nach kurzer Ankündigung auf seinen Servern, was jedes Land hektisch nachschauen lässt, ob man denn auch ja Teil des Skandals sei. Aber das finden die US-amerikanische und diverse andere Regierungen nicht lustig, denn das Echo der Medien zielt vor allem auf die diplomatischen Berichte, die eigentlich eher in die unterste Schublade gehören und Einschätzungen von Politikern ablassen, die man so gar nicht als diplomatisch bezeichnen möchte. Ehrlich gesagt überraschen sie keinen, aber Westerwelle-Bashing kommt ja immer nett.

Die Diskussion und Empörung darüber deckt - das mag auch nicht ganz ungelegen kommen - die eigentlich spannenden Inhalte zu. Dass die USA keinen blassen Schimmer von Sunniten und Schiiten im Irak hatten, dass das Wissen über Angriffspläne in weiteren Schubladen liegt...aber so ist es mit Medienkanälen. Eine Nachricht zur gleichen Zeit besetzt den kompletten Kanal.

Man erinnert sich an geeigneten Stellen, dass es nun, ausgestattet mit der Empörung über die Publikation von Hintertreppengeschichten, an der Zeit wäre, WikiLeaks auszutrocknen. Das macht man am besten über zwei Wege. Zum einen bittet man zum Thema "Logistik" Herrn Bezos von Amazon, WikiLeaks von den Servern zu nehmen und PayPal als Zahlungskanal zu schliessen. Da es auch noch ein Postkonto in der Schweiz gibt, bittet man auch die Schweizer Post, dieses zuzumachen. Auch Visa und Mastercard sind als Weg für Spenden versperrt.

Das lassen sich Unterstützer von WikiLeaks nicht gefallen und machen der Website des Postkontos zu schaffen. Vielleicht sinken auch die Umsätze bei Amazon, das weiss man nicht. Aber der Server repliziert sich und ist über eine neue Domain weiter erreichbar. Netterweise beschliessen auch Facebook und Twitter, WikiLeaks nicht aus den eigenen Inhalten auszusperren. Warum sollten sie auch. 250.000 Dokumente können nicht in einem Social Network publiziert werden.

Zum Thema "Chef ausschalten" bietet sich ein alter Vergewaltigungsvorwurf an, den Kachelmann so auch gerne hätte. In Schweden existiert ein internationaler Haftbefehl, weil Julian Assange mit einem defekten Kondom Beischlaf ausübte, was dort auch als Vergewaltigung zählen kann. Dieser Haftbefehl führt nun dazu, dass er in London in Gewahrsam genommen wird, wo er bisher in einem Journalistenclub unterkam. Assange kommt nicht gegen Kaution frei.

Fassen wir zusammen: Wenn es jemand wagen sollte, in der westlichen, freien Welt diplomatische Depechen öffentlich zu machen, dann knipst man ihm den Server aus und nimmt ihm die Gelder und seine Freiheit weg, denn in irgendeinem Land wird er vorher schon strafbaren Sex gehabt haben. Aber die Inhalte finden weiter ihren Weg, Assange wird zum Helden, und folgendes wird nun vermutlich passieren.

Trauen wir uns eine Vorhersage: Es wird ein Derivat von WikiLeaks geben, denn der Markt für neoinvestigative Publikationen wird grösser. Juristen werden einen möglichst drogenfreien und monogamen Manager in seinem Tun abfedern, und man wird sich Finanzquellen sichern, die nicht auf Amazon oder andere regierungshörige Unternehmen angewiesen sind. Dann wird die Welt überschwemmt von Meldungen wie "wie es im Klimagipfel von Kopenhagen wirklich zuging" oder "so kochen die Politker dieser Welt - schlecht" oder "das Militär will töten, und manchmal tut es das auch". Am Schluss wird es eine WikiLala Show in RTL 2 mit der Frau oder dem Mann eines Ministers geben. Dann ist wieder alles gut, bis jemand eine neue Idee hat, das öffentliche System und seine Medien zu stören.