Das Jahr des Hungers

Trotz Rekordernten wächst die Zahl der Hungernden. 2009 wird sie als Folge der Wirtschaftskrise erstmalig eine Milliarde übersteigen

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Die Zahlen der UN-Agrarorganisation FAO sind bitter. Die Gruppe der Menschen, die täglich mit hungrigen Magen zu Bett gehen müssen, hat sich 2008 um 40 Millionen vergrößert. Derzeit umfasst sie 961 Millionen Personen. Und das obwohl selten so viele Nahrungsmittel geerntet wurden wie in den beiden zurückliegenden Jahren. Schlimmer noch: Die weltweite Finanzkrise wird noch mehr Menschen in Armut stürzen, sodass 2009 erstmalig mehr als eine Milliarde Menschen unterernährt sein werden.

Die Situation wird dadurch verschärft, dass die Nahrungsmittelpreise nach ihrem Hoch im Sommer 2008 zwar wieder deutlich gefallen sind, aber sich noch immer auf einem Niveau bewegen, das sich viele Menschen nicht leisten können. Zugleich führen die zurückgehenden Preise dazu, dass weniger angebaut wird, wie die britische Zeitung The Independent berichtet. Zudem haben Bauern in vielen Ländern aufgrund der Finanzkrise große Schwierigkeiten Kredite zu bekommen. Die Ernte wird 2009 daher vermutlich schlechter ausfallen.

An den Priesen wird das eigentliche Dilemma der Welternährung deutlich. Auf der einen Seite gibt es eine wachsende Zahl Menschen, die sich relativ viel Fleisch leisten kann, und sei es auch nur solches minderer Qualität aus extremer Massentierhaltung. Dadurch wird ein erheblicher Teil des Getreides verbraucht. Dabei würde eigentlich allein die Weltgetreideernte fast ausreichen, um die Menschheit zu ernähren. Auf der anderen Seite sind viele Menschen so arm, dass sie sich nicht genügend Nahrungsmittel leisten können. Könnten sie mehr für Essen ausgeben, dann wäre zugleich auch der Anreiz für Bauern größer, zu produzieren.

Die Lösung des Dilemmas wären also höhere Einkommen, das heißt, eine gewisse Umverteilung, oder eine staatliche Aufkaufpolitik verbunden mit Zuteilungen für die Armen, wie sie in Brasilien mit dem Null-Hunger-Programm betrieben wird. Für die reichen Eliten ist das natürlich bedrohlich, weshalb es überall Widerstände gegen entsprechende Programme gibt. Übrigens auch in Deutschland, wo Milliarden an Banken und Autokonzerne verteilt werden, aber keiner auf die Idee kommt, die Kaufkraft der ALG-II-Empfänger zu stärken.