"Schatz, dein Wording ist nicht okay"

Anmerkungen zu hassenswerten Wörtern

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Das Wort "pulchritude" lässt englische Dichter zusammenzucken, wie sich neulich auf dem Literaturfestival von Ledbury zeigte. Die Begründung ist standesgemäß, ihre Formulierung ein Genuß, den man wie Prosciuttio aus San Daniele auf der Zunge zergehen lassen kann: "stuffed to the brim with a brutally latinate cudgel of barbaric consonants". Etwas "prätentiös" vielleicht. Es gibt auch heftigere Reaktionen. Als ich einmal bei Handke las, dass er das Wort "Wandern" nicht mag und ihm das Wort die schöne Tätigkeit verleide, wurde auch mir klar, warum ich "Wandertage" schon immer gehasst habe. Es war die im Wort eingebettete Vorstellung von käsfüßigen Katholiken, die jeden Grashalm berochen, die mich künftig gegen alle Frischluftaktivitäten feindlich stimmte; ich bin Hallenbadschwimmer geworden. Und nicht der einzige, der mit einem starken Affekt auf die schwarze Magie von Wörtern reagiert: das beweisen die Antworten, die aus der Pistole geschossen kamen, als ich gestern einige Autoren und Bekannte im Gespräch auf die englischen Dichter in Ledbury hinwies und danach fragte, welches Wort bei ihnen Hass erzeugt. Sofort fielen:

"wunderbar"

"im grünen Bereich"

"nachhaltig"

"auf dem Schirm haben"

"Blowjob".

Das letztere wurde damit begründet, dass in der Pseudooffenheit, die der Gebrauch des Wortes vermitteln will, widerliche Prüderie versteckt sei, unangenehmer Neusprech. Aber nicht aller Neusprech trifft auf Hass.

"Entscheidungskorridor" zum Beispiel wurde als Wort erwähnt, das immer wieder mit komischen Effekten eingesetzt werden kann. Vielleicht, weil es noch nicht "abgefrühstückt" ist - wie "Wording", das häufiger genannt wurde, aber eigentlich, weil es so idealtypisch ist, auch zu lustig ist, als dass man es hassen möchte, wie die Erfahrung eines Head of Communications-Manager beweist, der von einem sehr hässlichen Streit an den Weihnachtsfeiertagen berichtet, welcher mit einer Nichtigkeit, seiner "Computersucht", begann und eskalierte, als er seiner Frau vorwarf, dass "ihr Wording nicht okay" sei.

Weiter genannt wurden - mit Begründung:

"Schweinegrippe" - ein Wort, das zeige, wie selbst seriöse Medien Grelles in ihren "Content" packen wie bayerische Kühlräume "Gammelfleisch".

"Alleinstellungsmerkmal" - als das häßlichste Wort deutscher Sprache, welches fast gar nichts bezeichne, aber überall eingedrungen ist, schlechte Übersetzung von "unique selling point".

"bürgerlich", weil alle glauben, was es heißt, weil es alle falsch benutzen, weil es ein Schönfärberwort für "rechts" und "konservativ" und "rechtskonservativ" ist und das, was es eigentlich bezeichnet, damit kontaminiert

"Zeitläufte", weil man eigentlich weniger gekünstelt Zeitläufe sagen sollte

"zeitnah"

"Zeitfenster"

"Marketing", weil die Sache unerträglich ist.

"Der Irre aus Teheran" - weil damit ein politischer Sachverhalt (psycho)pathologisiert wird, was sich in der "Boulevard-Phrase" eigentlich ausdrückt, ist 1. Angst und 2. Kriegshetzerei.

"Habseligkeiten" - dieses Wort gibt es nur in der deutschen Sprache. Das Wort drückt das fehlgeleitete menschliche Streben aus, sein Glück (seine Seligkeit) im Erwerb und Besitz materieller Güter zu definieren. Paradoxerweise wurde eben dieses Wort 2004 vom Deutschen Sprachrat zum schönsten deutschen Wort gekürt

"AktivistInnen" - obwohl das Wort ja eigentlich recht nützlich ist - weil man sofort weiß, dass man einen Text, in dem es verwendet wird, nicht zu lesen braucht

"Sich nicht verkämpfen", wurde ohne weitere Begründung von einem Drehbuchautor genannt. Und zuletzt schüttelte es die Bedienung eines Münchener Tagescafés bei der Redewendung "Bam, Oida, fix Oida!". Aber der Jugendjargon hat seine eigenen Empfindlichkeitsgesetze.