Godwin's Law am Bundesverfassungsgericht

Ist die Bezeichnung als "rechtsextrem" bzw. „rechtsradikal“ eine freie Meinungsäußerung?

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Der amerikanische Anwalt Mike Godwin formulierte bereits 1990 die Gesetzmäßigkeit, dass im Verlaufe längerer Diskussionen im Internet mit zunehmender Dauer die Wahrscheinlichkeit, dass jemand einen Nazi-Vergleich einbringt, gegen den Wert Eins tendiere. Das nach ihm benannte Godwinsche Gesetz wird in Foren eifrig validiert – manchmal so heftig, dass ein „Löschnazi“ einschreiten muss.

Gelegentlich behaken sich auch Rechtsanwälte im Internet, so geschehen in einem Fall, den nun das Bundesverfassungsgericht entschied. Ein Rechtsanwalt hatte sich als „Historiker“ versucht. Ein Berufskollege kommentierte zunächst, er kübele rechtslastigen Dreck ins Internet. Auf Anfrage löschte er diese Äußerung, legte ein halbes Jahr später jedoch nach: "... der ... er liefert einen seiner typischen rechtsextremen originellen beiträge zur besatzerrepublik brd ..." (das Wort „rechtsextremen“ war durchgestrichen) "... dass sich sein denken vom klassisch rechtsradikalen verschwörungstheoretischen weltbild nicht wirklich unterscheidet." Der gescholtene Anwalt mahnte ab, erhielt jedoch statt der begehrten Unterlassungserklärung die Rechtsauffassung, "wer wie Sie meint, die Welt werde im Grunde von einer Gruppe khasarischer Juden beherrscht, welche im verborgenen die Strippen ziehen, muss es sich gefallen lassen, rechtsradikal genannt zu werden."

Urteil des Landgerichts Würzburg: Tatsachenbehauptung

Die Anwälte erkannten ihre Chance, die Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrecht zu bereichern, und grantelten vor Gericht weiter. Das Landgericht Würzburg bewertete in seinem Urteil die Bezeichnung „rechtsradikal“ als Tatsachenbehauptung. Hierunter versteht man alle Äußerungen, deren Inhalt dem Beweise zugänglich sind. Neben sogenannten „äußeren Tatsachen“, die man etwa naturwissenschaftlich oder durch Zeugen etc. beweisen kann, gibt es auch „innere Tatsachen“. So zählen vor Gericht auch Motive, Gefühle oder eben politische Einstellungen grundsätzlich als Tatsache, die etwa durch Befragen des Betreffenden ermittelt werden kann. Da allerdings bei Tatsachenbehauptungen eine Beweislastumkehr gilt, muss derjenige, der etwas über einen anderen behauptet, den Wahrheitsgehalt seiner Worte beweisen, was in der Praxis Schwierigkeiten bereitet.

Unzutreffende bzw. unbewiesene Tatsachenbehauptungen, die geeignet sind, dem Ansehen einer Person zu schaden, sind nur im Ausnahmefall vom Recht auf Meinungsfreiheit erfasst, etwa bei journalistisch einwandfreier Verdachtsberichterstattung. Man darf nicht einem Menschen ins Blaue hinein etwas unterstellen, sondern benötigt gewisse Indizien und muss einen Fall so weit wie zumutbar recherchieren usw. Das Landgericht Würzburg sprach ein Verbot aus.

Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg: Meinungsäußerung, aber "Schmähkritik"

Das ließ der Beklagte nicht auf sich sitzen und legte am Oberlandesgericht Bamberg Berufung ein. Dort kamen die Richter zu der Rechtsauffassung, die Bezeichnung beanstandeten Äußerungen seien doch keine Tatsachenbehauptung, sondern Meinungsäußerungen handele. Meinungsäußerungen sind solche, bei denen man ein Werturteil zum Ausdruck bringt, also durch ein Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind. Meinungsäußerungen sind bis zur Grenze der sogenannten „Schmähkritik“ grundsätzlich vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt, wobei jedoch eine Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Geschmähten vorgenommen werden muss.

Problematisch sind Mischformen, etwa eine Einschätzung über Tatsachen. Das OLG Bamberg ließ wissen, es bedürfe einer Wertung, ob ein Text rechtsradikale Züge trage, beziehungsweise von einem rechtsextremen Gedankengut getragen sei. Eine solche Wertung sei einem Beweis nicht zugänglich. Allerdings handele es sich vorliegend um Schmähkritik, weil der Beschwerdeführer den Kläger ohne jeden nachvollziehbaren Hintergrund aus völlig anderen Motiven als denen einer sachlichen Auseinandersetzung als rechtsradikal habe brandmarken wollen. Das Verbot wurde bestätigt.

Bundesverfassungsgericht: Meinungsäußerung, keine Schmähkritik, Abwägungsentscheidung nötig

Der Beklagte ließ sich nicht unterkriegen und erhob Verfassungsbeschwerde. Das im Aufheben von meinungsfeindlichen Entscheidungen geübte Bundesverfassungsgericht fand deutliche Worte. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit seien verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind. Die Verfassungsrichter beurteilten die beanstandeten Äußerungen als Meinungsäußerungen, denn es sei nicht durch eine Beweiserhebung festzustellen, wann ein Beitrag „rechtsextrem“ ist, wann sich ein Denken vom „klassisch rechtsradikalen verschwörungstheoretischen Weltbild“ unterscheide und wann man „es sich gefallen lassen muss, rechtsradikal genannt zu werden“.

Die Einstufung der Meinungsäußerungen durch Oberlandesgericht als Schmähkritik vermochte man in Karlsruhe nicht zu folgen. Verfassungsrechtlich ist die Schmähung eng definiert. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt. Eine Schmähkritik ist dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Dies kann hier laut dem Bundesverfassungsgericht aber nicht angenommen werden. Alle Äußerungen hätten einen Sachbezug.

Hausaufgabe für das Landgericht Würzburg

Wenn es sich auch nicht um Schmähkritik handelt, so wird dennoch durch die Attribute „rechtsextrem“ und „rechtsradikal“ das allgemeinen Persönlichkeitsrecht berührt. Denn mit diesen Bezeichnungen ist eine Prangerwirkung verbunden, die geeignet ist, das Ansehen einer Person - zumal als Rechtsanwalt - in der Öffentlichkeit herabzusetzen, ggf. sogar existenzgefährdend.

Die Durchführung der Abwägung obliegt allerdings nicht dem Bundesverfassungsgericht, vielmehr muss diese nun am Landgericht Würzburg vorgenommen werden. Doch die höchsten deutschen Richter gaben den Würzburgern eine Gebrauchsanweisung mit auf den Weg: So müsse sich eine noch immer mögliche Verurteilung zur Unterlassung einer Äußerung im Interesse des Schutzes der Meinungsfreiheit auf das zum Rechtsgüterschutz unbedingt Erforderliche beschränken. Außerdem sei zu beachten, dass der Kläger seine Beiträge öffentlich zur Diskussion gestellt habe. Dann müsse zur öffentlichen Meinungsbildung auch eine echte Diskussion möglich sein. Derjenige, der sich mit verschiedenen Stellungnahmen in die öffentliche Diskussion eingeschaltet hat, müsse eine scharfe Reaktion grundsätzlich auch dann hinnehmen, wenn sie sein Ansehen mindere. Gegen die Meinung des Beschwerdeführers könnte sich der Kläger im Meinungskampf seinerseits wieder öffentlich zur Wehr setzen.