Harter Schlag für Spanien: ETA-Gefangene müssen freikommen

Aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechtrechte müssen zahlreiche Gefangene der baskischen ETA aus der Haft entlassen werden

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Es wurde allseits erwartet, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das Urteil gegen in Spanien bestätigt. Als Konsequenz müssen nun etwa 100 Gefangene freigelassen werden, deren Haftstrafen willkürlich rückwirkend verlängert wurden. Spanien hatte das Urteil einer Kammer des Gerichtshof angefochten, als Spanien vor einem Jahr einstimmig verurteilt wurde, die Baskin Inés del Río "so schnell wie möglich" freizulassen. Einstimmig wurde festgestellt, dass die Gefangene seit fünf Jahren "irregulär" inhaftiert ist. Sie hatte 2008 eine 23-jährige Haftstrafe abgesessen. Zwei der 17 Richter sahen allerdings Artikel 17 der Menschenrechtskonvention nicht verletzt. Das Urteil ist endgültig und kann nicht mehr angegriffen werden.

Die Strafen nachträglich anzuheben, ist illegal. Das Gericht sieht die "dringende Notwendigkeit, die festgestellten Unregelmäßigkeiten zu beenden", erklärte der Gerichtspräsident Dean Spielmann. Spanien müsse die "Freiheit" der Gefangenen "so schnell wie möglich" garantieren. Die Praxis, Strafen nachträglich neu zu berechnen, um die Freilassung von Gefangenen zu verhindern, wurde später auch auf andere Gefangenen ausgeweitet. Del Rio hatte die Strafe 2008 verbüßt und erhält nun eine Entschädigung von 31.500 Euro. Eigentlich muss Spanien nun etwa 100 Gefangene freilassen, sind sich auch hochrangige Juristen wie Margerita Robles einig. Die Sprecherin des spanischen Justizkontrollgremiums machte in Radio Euskadi deutlich, dass ein "Präzedenzfall" geschaffen wurde, der in anderen Fällen umgesetzt werden müsse.

Die Zahlen, wie viele Gefangene betroffen sind, gehen auseinander. Gesprochen wird bei einigen von parot sentencia estrasburgo anuncia fallo lunes/ 61 Gefangenen der ETA und noch einmal gut zwei Dutzend weiterer Gefangenen. Andere Quellen sprechen sogar von 137 Gefangenen der ETA. Das Urteil kommt genau zwei Jahre, nachdem die ETA verkündete, den bewaffneten Kampf endgültig einzustellen. Es wird den Friedensprozess voranbringen, der im Baskenland mit einseitigen Schritten vorangetrieben wird, während Spanien mit neuen Razzien und Verhaftungen ihn weiter boykottiert.

Viele im Baskenland glauben, Spanien setze auf Provokation, um die ETA oder eine Abspaltung dazu zu bringen, weiter mit Gewalt für ein unabhängiges, vereintes und sozialistisches Baskenland einzutreten. Dazu passt auch, dass vergangene Woche zwei neue Massenprozesse begonnen haben. In der spanischen Hauptstadt Madrid wird gegen 40 Jugendliche zu Gericht gesessen, die angeblich Führungsaufgaben in der Jugendorganisation Segi (Weitermachen) übernommen haben sollen. Die wurde in Spanien 2002 verboten, weil sie angeblich im Dienst der ETA stand.

Nach 11 Jahren hat vergangenen Donnerstag vor dem Nationalen Gerichtshof auch der Prozess gegen 36 ehemalige Führungsmitglieder der 2003 verbotenen Partei Batasuna (Einheit) begonnen. Auch ihnen wirft das Sondergericht vor, Mitglieder oder Unterstützer der ETA zu sein, wofür Haftstrafen zwischen acht und zwölf Jahren drohen. Über die Sozialzentren der Partei, die es in jeder Stadt und vielen Dörfern gibt, soll angeblich die ETA finanziert worden sein, was die Beschuldigten weit von sich weisen. Dass sie nach einer kurzen Schließung und Buchprüfung wieder geöffnet wurden, sprach schon damals nicht für die Anschuldigungen.

Für die konservative spanische Volkspartei (PP) ist das ein neuer harter Schlag. Das machten Innenminister Jorge Fernández Díaz und Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón mit sehr ernster Miene auf einer Pressekonferenz deutlich. Es sei "bedauerlich", dass sich Straßburg nicht der Auffassung angeschlossen habe, hinter der sich auch das Verfassungsgericht gestellt hat. Er kündigte an, dass man eine "lebenslängliche Haftstrafe" einführen werde, die allerdings eigentlich gegen die spanische Verfassung verstößt. Anders als die Expertin des Kontrollrats will Gallardón "Fall für Fall" prüfen und nicht alle Gefangenen sofort freigelassen wissen. Der Nationale Gerichtshof kommt schon morgen zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, um die Freilassung Del Ríos zu entscheiden. An der Gefängnispolitik werde sich nichts ändern, kündigte der Innenminister an, der kürzlich von "Justiztechnik" sprach, um Freilassungen zu verhindern. Zu derlei Tricks gehörte auch schon, "Anklagen zu konstruieren", wie es der sozialdemokratische Justizminister Juan Fernando López Aguilar 2006 erklärte, als die Parot-Doktrin 2006 entstand.

Sie musste schon akzeptieren, dass sich Batasuna in der Partei Sortu (Aufbauen) neu organisieren konnte und im Bündnis mit anderen zur zweitstärksten Kraft im Baskenland wurde. Das höchste spanische Gericht hatte das Verbot der Regierung aufgehoben, weil sich die Partei streng an das Parteiengesetz hält und sich eindeutig und glaubwürdig von Gewalt distanziert. Dazu kommt, dass auch die Verbote von Zeitungen als illegal abgestraft wurde und Spanien vom EGMR wegen Folter an Journalisten verurteilt wurde.