Jobwunder mit Schönheitsfehlern

Die Arbeitslosenzahlen sinken, doch die neuen Jobs entstehen überwiegend in prekären Beschäftigungsformen

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Die konjunkturellen Aussichten auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland sind scheinbar gut. Immer mehr Menschen sind in Arbeit. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen ist erstmals seit Jahren wieder deutlich unter die Drei-Millionen-Grenze gefallen. Die Zahl der Beschäftigten wuchs innerhalb eines Jahres um 322.000 auf 30,9 Millionen, wie neueste Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) darlegen. Schon spricht man wieder vom deutschen Jobwunder, wie einst in den 1950er Jahren und denkt verstärkt an den Import von Fachkräften aus dem Ausland, da in vielen Branchen händeringend nach Fachkräften gesucht wird. Umfangreiche Werbekampagnen in den Krisenstaaten Portugal, Spanien und Griechenland sollen neue Arbeitskräfte ins Land bringen. Wer erinnert sich da nicht an den Job-Boom der 1950er Jahre, als eben aus diesen Ländern zahlreiche Arbeitnehmer angeworben wurden.

Doch die Situation heute ist nicht mit dem Aufschwung der Gründungszeit der Bundesrepublik vergleichbar. Denn die Zahl der Menschen, die lediglich als Mini-Jobber bzw. Teilzeitbeschäftigte arbeiten oder sich vielfach nur in befristeter Anstellung befinden, steigt heute kontinuierlich an. Ihre Zahl ist um 243.000 auf 7,84 Millionen geklettert. Für einen großen Teil der Berufsstarter zwischen 15 und 25 ist der Einstieg ins Arbeitsleben durch derartige Arbeitsverhältnisse mittlerweile zur Regel geworden. Viele Unternehmen nutzen zudem atypische Beschäftigungsformen, um auf den aktuellen Mehrbedarf nach der Krise 2009 zu reagieren. So verwundert es nicht, wenn das Statistische Bundesamt feststellt, dass das aktuelle Beschäftigungswachstum zu 57% aus der Zunahme der Zeitarbeit und zu 38% aus befristeter Anstellung resultiert.

Mit den bekannten Folgen, denn für viele Arbeitnehmer bedeutet dies, weiterhin auf Unterstützung angewiesen zu sein. Die in der Zeitarbeit gezahlten Löhne liegen meist deutlich unterhalb des Lohnniveaus von Regelarbeitsplätzen. Und selbst wenn das Einkommen im Einzelfall zum Leben ausreicht, alleine eine befristete Anstellung kann sich schon negativ auf die Binnenkonjunktur auswirken, da zu geringe Planungssicherheit für den Arbeitnehmer besteht. Wer gerade so über die Runden kommt und vielleicht nur einen Vertrag über 6 Monate hat, wird - neben Konsumzurückhaltung - im Regelfall auch keine längerfristigen Verpflichtungen wie z.B. für einen Hausbau eingehen.

Kritische Stimmen sehen die Bundesrepublik bereits auf dem amerikanischen Weg, wo ein Job alleine nicht ausreicht, um zu überleben. Das die Löhne der unteren drei Einkommensschichten sich in den letzten 10 Jahren bis zu 22% (preisbereinigt) nach unten bewegt haben, zeigt auf, das Deutschland auf dem besten Weg zu einem echten Niedriglohnland ist. Die Erfolgsgeschichte so manchen Arbeitnehmers der 1950er Jahre, der es am Ende seiner Karriere zu Wohlstand gebracht hat, wird sich bei einem Stundenlohn von 8,50 Euro oder darunter so wohl nicht wiederholen. Das sollte man vielleicht auch den Spaniern erzählen, um die jetzt verstärkt geworben wird.