Staat unterstützt Kirchen mit weit mehr als 19 Milliarden Euro jährlich

Allmählich zeigen die Kirchen sich diskussionsbereit, aber die Politiker trauen sich nicht wirklich an die Beendigung der Staatsfinanzierung der Kirchen heran

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Auch an den Kirchen könnten Steuergelder eingespart werden, um das Haushaltsdefizit zu mindern. Hin und wieder kommt es aus der Politik etwa von Seiten der FDP, der Linken oder der Grünen zu Vorstößen, die aber schnell wieder verstummen. Dazu müssten Staatsverträge mit den Kirchen neu ausgehandelt und eine nicht unerhebliche Abfindung bezahlt werden, das aber würde langfristig den Steuerzahlern, zumal wenn sie keine Katholiken oder Mitglieder der Evangelischen Kirche sind, doch erheblich entlasten. Von religiöser Neutralität ist bei einer jährlichen direkten und indirekten Subventionierung der beiden Kirchen durch alle Steuerzahler von geschätzten jährlichen 19 Milliarden nicht zu sprechen.

Vor allem in schwierigen Zeiten für die Parteien, in denen sie um Stimmen ringen, wäre eine solche Aufkündigung ein Tabu, obgleich die Zahl der praktizierenden Christen ziemlich gering ist. Beide Kirchen verlieren zudem kontinuierlich an Mitgliedern. Mittlerweile sind jeweils weniger als 30 Prozent der Bevölkerung Mitglieder in den beiden Kirchen, während der Anteil der Konfessionslosen auf mehr als 34 Prozent angestiegen ist.

Auf viele Weise werden die zwei deutschen Kirchen bevorzugt und kosten allein durch die Befreiung von der Grundsteuer sowie der Zinsabschlags-, der Kapitalertrags- und der Körperschaftsteuer eine Menge Geld. Das ließe sich auch einfach politisch entscheiden, ohne neue Verträge schmieden zu müssen. Dazu kommt, dass die vom Staat erhobene Kirchensteuer von der Einkommenssteuer abgesetzt werden kann, dadurch verliert der Staat allein schon Milliarden, wobei nach Schätzungen höchstens 10 Prozent gemeinnützigen Tätigkeiten zukommen. Die Kirchen tragen übrigens nicht, wie weithin geglaubt wird, ihre Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen oder Krankenhäuser mit ihrem eigenen Geld, diese werden in der Regel in der Höhe von 90 Prozent und mehr mit Steuergeldern finanziert. Alleine an Personalkosten für Bischöfe, Pfarrer und Theologen zahlt der Steuerzahler jährlich 450 Millionen Euro.

In seinem neuen "Violettbuch Kirchenfinanzen" ( Alibri-Verlag) kommt der Kirchenexperte Carsten Frerk zu noch höheren Summen, mit denen der Steuerzahler die beiden Staatskirchen unterstützt. Jährlich seien dies nicht nur 19 Milliarden. Dazu kämen um die 45 Milliarden für Caritas und Diakonie, berichtet der Spiegel. Misereor erhält 63 Prozent des Etats vom Steuerzahler, nur 5 Prozent kommen aus der Kirche. Für den Religionsunterricht gibt der Staat 1,7 Milliarden Euro aus, christliche Kindergärten werden mit 3,9 Milliarden subventioniert. Zum Erhalt der Kirchen und Pfarrhäuser wird auch viel Geld ausgegeben. Und weil Kirchen steuerbefreit sind, tragen sie nichts zur Finanzierung der gesellschaftlichen Infrastruktur bei, so Frerk, von der sie profitieren.

Der Druck auf die Politik aber wächst, was auch die Kirchen zum Nachdenken bringt. So sagte der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider, man sei bereit, über das Ende der Staatsleistungen zu reden: "Wir sind gesprächsbereit." Die seien aber keine Almosen, sondern staatliche Gegenleistungen für Enteignungen.

Während der Deutschen Bischofskonferenz im September sah sich Professor Dr. Ansgar Hense, Direktor des Instituts für Staastskirchenrecht (Bonn), genötigt, eine Stellungnahme zur Kirchenfinanzierung abzugeben. Hense vermeidet allerdings, die gesamten Summen zu nennen, ist bemüht, den Terminus der Staatsleistungen von anderen Zuwendungen abzugrenzen und damit auch die Gesamthöhe zu reduzieren, und nennt beispielsweise explizit nur die weiter oben erwähnte Zahl von 460 Millionen an vom Staat gezahlten Personalgeldern, muss aber einräumen: "Einer geschlossenen Ordnungssystematik verschließt sich das Terrain der Staatsleistungen." Zudem gebe es eine "verwirrende Vielfalt der Rechtsgrundlagen". Selbst wenn die Staatsleistungen beendet würden, so Hense, würde es zu einer "Religionsförderung" kommen.

Seiner Ansicht hat der Staat die Aufgabe, Verhandlungen mit den Kirchen aufzunehmen. Diese müssten nicht von sich aus auf Staatsleistungen verzichten, sondern hätten "einen Anspruch auf Ablösungsleistung", also auf Entschädigung. Der Staat habe mit seinen umfangreichen Zahlungen keineswegs die "ursprüngliche Schuld" getilgt, da "es sich nicht um Tilgungsleistungen handelt, sondern es um Unterhaltungsverpflichtungen geht", so der Staatskircherechtler. Der kommt am Schluss wieder auf die 460 Millionen zurück, die er wohl als die eigentlichen Staatsleistungen betrachtet, und folgert:

"Bei der gegenwärtigen Diskussion über die ca. 460 Mio. € Leistungen der Bundesländern an die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften könnte sich die Gesamtsumme in einem unteren zweistelligen Milliardenbereich bewegen, den die Bundesländern zum Zwecke der Ablösung finanzieren müssten, damit die Kirchen dann - bei einer Verzinsung von z.B. 3 % bis 4 % pro Jahr - den bisherigen Umfang an Staatleistungen erzielen könnten."

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Telepolis ist Mitglied im Amazon-Partnerprogramm: Violettbuch Kirchenfinanzen: Wie der Staat die Kirchen finanziert

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