Wann ist eine Busreise ein politischer Zweck?

Außer Kontrolle

"Treffen sich ein paar Neonazis im Tourbus einer Schlagersängerin" – Was wie ein Witz beginnt, ist weniger komisch als nachdenklich machend.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Über (Familien)bande vermietet

In diversen Zeitschriften und Magazinen wurde gestern, am 2. April also, darüber berichtet, dass die Polizei Neonazis im Tourbus der Schlagersängerin Andrea Berg entdeckte und diesen Bus dann mit Hilfe von sechs Begleitfahrzeugen erst stoppte und später umleitete, sodass dieser sein Ziel nicht erreichen konnte. Dieses Ziel war eine von den Neonazis angemeldete, jedoch von den Behörden nicht genehmigte Demonstration in Gernsheim (Hessen).

Was zunächst wie ein verspäteter Aprilscherz anmutete, war jedoch weder erfunden noch so spektakulär, wie es sich anhörte. Denn obgleich es ein Bus war, den Frau Berg auf ihren Tourneen nutzte (und der auch mit entsprechendem Folienmotiv für sie warb), so war hier keineswegs ein gemütlicher Neonaziplausch mit der Sängerin vonstatten gegangen. Vielmehr gehörte der Bus zum Fuhrpark einer Firma, die Frau Bergs Schwager leitet. Dieser hatte den Bus an ein Busunternehmen weitervermietet und gestattet, dass die übergroßen Werbefolien mit dem Konterfei der Sängerin sowie der Aufschrift "Du hast mich tausendmal belogen" weiterhin den Bus zierten, was letztendlich ja auch Werbung für die Sängerin bedeutet. Das Busunternehmen hatte den Bus dann an die Neonazis vermietet.

Politische Unternehmungen

Durch die Zeitungsberichte erhielt dieser bis dahin eher harmlose Vorgang eine gewisse Dynamik, wie sie beim "Kampf gegen Rechts" nicht selten ist. Das Management Frau Bergs kündigte sofort an, die Sache aufzuklären und den Bus vom Reiseunternehmen zurückzufordern. Die Beklebungen würden entfernt und natürlich sei man schockiert darüber, was passiert sei. Außerdem werde man rechtliche Schritte gegen das Busunternehmen einleiten - nicht zuletzt weil festgelegt worden sei, dass das Fahrzeug nicht für politische Zwecke und Unternehmungen genutzt werden durfe. Das Busunternehmen selbst gibt an, der Bus würde an Schulen, Vereine und Agenturen vermietet. Weitere Auskünfte gab es bisher nicht.

Die Regelung, dass bestimmte Fahrzeuge (gerade auch wenn diese mit Werbung für Personen beklebt sind) nicht für politische Zwecke genutzt werden dürfen, ist nicht überraschend. Dahinter steckt die Überlegung, dass z.B. durch ein Platzieren des Fahrzeuges auf einer Wahlveranstaltung, einer Demonstration oder einem ähnlichen Ereignis der Eindruck erweckt werden könnte, der Beworbene sei der Partei oder dem Demonstrationszweck gegenüber positiv eingestellt bzw. würde hier als Unterstützer auftreten. Aus diesem Grund werden solcherlei Fahrzeuge z.B. nicht an Parteien weitergegeben. Doch hier haben 20 Privatpersonen, ggf. als Verein auftretend, ein Fahrzeug gemietet - und es dürfte kaum anzunehmen sein, dass sie dem Busunternehmen mitgeteilt haben, dass sie Neonazis sind. Eine über die Bonität hinausgehende Vorabüberprüfung hätte dies vielleicht aufdecken können, würde jedoch einen schweren Eingriff in die Privatsphäre der Kunden darstellen, der zu Recht Protest nach sich ziehen würde.

Stellt schon die Fahrt zu einer Demonstration einen politischen Zweck dar?

Das Stadtmagazin behauptete in einem besonders kreativen Spin, dass die Neonazis auf diese Weise mit dem Konterfei der Frau Berg für ihre unerlaubten Parolen werben wollten. Dies hätte jedoch vorausgesetzt, dass der Bus direkt an die Neonazis vermietet worden wäre. Und diese hätten planen müssen, dass die Polizei den Bus stoppt und dass die Medien dies aufgreifen. Wären die 20 Personen lediglich nach Gernsheim gefahren und unverrichteter Dinge wieder abgezogen, so hätte der Tourbus ja durchaus auf einem Parkplatz stehen können, ohne dass er mit den Neonazis und deren Kundgebung in Verbindung gebracht worden wäre. Selbst bei einer Teilnahme der Personen an einer Kundgebung wäre die Tatsache, dass ein Bus mit Werbung für Frau Berg genutzt wurde, nicht automatisch mit einer Befürwortung der Kundgebung durch Frau Berg gleichgesetzt worden, da es auch möglich ist, solcherlei Folien selbst herstellen zu lassen und damit den eigenen Bus zu bekleben.

Auch stellt sich die Frage, ob bereits die Fahrt zu einer Demonstration einen politischen Zweck bzw. eine solche Unternehmung darstellt und nicht erst die Demonstration an sich. Wäre dem so, dann wären Teilnehmer von Demonstrationen per se schlechter gestellt als andere Kunden, da vielfach Busverleihe ähnliche Klauseln in ihren Leihbedingungen aufgenommen haben. Werden z.B. städtische Busse vermietet, so dient die Klausel der Absicherung gegen politische Werbung und/oder Aussagen, die auf diese Weise mit dem Busunternehmen in Verbindung gebracht werden könnten - nicht jedoch der Verhinderung von Fahrten zu Demonstrationen oder Kundgebungen an sich.

Sollte beispielsweise der Verein digitalcourage e.V. (ehemals FoeBuD) aus Bielefeld einen städtischen Bus anmieten wollen, um damit zu einer Demonstration in Berlin zu fahren, so würde eine Weigerung des Busunternehmens, den Bus an eben jenen Verein zu vermieten, da dieser den Bus für einen politischen Zweck nutzen wolle, zu regem Protest führen und es stünde die Frage im Raum, wie weit sich der Begriff "politischer Zweck" ausweiten lässt. Ist beispielsweise das Anmieten eines Personenkraftwagens durch ein Parteimitglied bereits politisch zu werten? Wie ist es mit Fahrten zu Konferenzen oder Vorträgen, die von den Rednern mittels angemieteter Fahrzeuge getätigt werden?

Das Beispiel zeigt, wie schnell sich gerade in Bezug auf Neonazis Beiß- und Distanzierungsreflexe ausgebildet haben. Lediglich der bloße Anschein, dass auf irgendeine Weise irgendein Zusammenhang mit Neonazis bestehen könnte, reicht bereits aus, um schnellstmöglich Distanzierungen und offizielle Statement über die eigene "Schockiertheit" zu verbreiten. Dies führt aber auch zu einer Diskussionskultur, die oftmals den Namen nicht mehr verdient, da sie etliche Aspekte der jeweils geführten Diskussion schlichtweg verdrängt.